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Gesund mit Diehm

Ist Genuss gesund?

Genuss ist ein elementarer Bestandteil menschlichen Seins und eng verbunden mit unserer körperlichen und seelischen Gesundheit. Informationen rund um den menschlichen Körper und die Gesundheit – erklärt von Prof. Dr. Curt Diehm.
Von dem Liedermacher Konstantin Wecker stammt der Satz: „Wer nicht genießt, ist ungenießbar.“ Von ihm stammt auch der Liedtext: „Und dann will ich, was ich tun will, endlich tun. An Genuss bekommt man nämlich nie zu viel. Nur, man darf nicht träge sein und darf nicht ruh’n, denn Genießen war noch nie ein leichtes Spiel.“

Wie wichtig ist Genuss für die Gesundheit?

Genuss ist ein elementarer Bestandteil menschlichen Seins und eng verbunden mit unserer körperlichen und seelischen Gesundheit. Dabei sollte man den Begriff nicht verkürzt auf Essen und Trinken begrenzen. Genuss hat grundsätzlich etwas mit Spaß zu tun, also auch mit Musik, Sport, Sexualität, Partnerschaft und vielem mehr. Wer zu wenig genießt, vergibt wertvolle Momente des Glücks und der Freude am Leben.

Warum thematisiere ich das? Wie steht Genuss mit unserer Gesundheit in Verbindung? Ich beobachte bei Patienten, dass jener Teil des Lebens, der mit dem Thema Vergnügen und Müßiggang verbracht wird, eher abnimmt und zu kurz kommt. Das führt zu Unzufriedenheit.

Das Marktforschungsinstitut Rheingold hat in einer Umfrage festgestellt, dass es 46 Prozent der Deutschen immer weniger gelingt, Dinge zu genießen und dass es ihnen zunehmend schwerer fällt, ein Gefühl tiefen Wohlbefindens zu erleben. Schule, Studium, Praktikum, Beruf – das scheint die Menschen heute noch mehr zu beschäftigen, als es früher der Fall war. Der Leistungsdruck wächst, die Lebensfreude bleibt auf der Strecke.

Hauptursache für den Verlust der Genussfähigkeit ist laut Aussage der Befragten der zunehmend als stressig empfundene Alltag. Pflichten und Verantwortlichkeiten fressen die Zeit auf, es bleibt nicht mehr genügend Raum, sich fallen zu lassen.

Hedonismus oder zumindest der Versuch, das Leben so weit wie möglich zu genießen, besitzt auf der Bucket List von Menschen keine hohe Priorität. Offenkundig wird diese Lücke oft im Sommerurlaub mit Partnern und Familie. Dabei kommt häufig nicht so recht Freude auf, denn die Kunst des Genießens will gelernt sein!

Wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema gibt es kaum. Aber: In Nürnberg existierte schon frühzeitig ein Institut für Genussforschung! Hier kam man zu der Erkenntnis, dass Frauen anders genießen als Männer. So sind Frauen in der Lage, differenzierter und mit allen Sinnen zu genießen. Und: Nicht Konsum und Überfluss machen den Genuss aus. Die Details erzeugen Freude. Im Umkehrschluss: Langfristige Unzufriedenheit ist keine gute Voraussetzung für eine ausgeglichene Psyche. Verzicht auf Freude ist kein guter Ratgeber für ein langes Leben.

In der Psychosomatik werden Patienten immer wieder gefragt, ob sie ihre Genussfähigkeit verloren haben und worüber sie sich richtig freuen können. In vielen Kliniken werden „Genussgruppen“ zur Therapie angeboten. Hier werden die verschiedenen Sinne wieder trainiert und ein neuer Zugang zu den eigenen Bedürfnissen wird hergestellt. Genuss wird neu erlernt. Wir sollten uns immer wieder hinterfragen: Was macht mir eigentlich Spaß und wie kann ich das in meinen Alltag einbauen?

An einem Mangel der allgemeinen Genussfähigkeit sind zu einem gewissen Teil auch wir Ärzte und die Gesundheitsindustrie schuld, weil wir zu viel verbieten und zu wenig propagieren, seine eigenen speziellen Bedürfnisse zu erkennen. Ein Beispiel: Als Mediziner verbieten wir mit erhobenem Zeigefinger das Zigarettenrauchen. Das nützt oft nichts, denn es führt schnell zu Verdruss. Vermutlich wäre es klüger, starken Rauchern aufzuzeigen, wie sie „achtsam rauchen“ und jede einzelne Zigarette so genießen, als wäre es ihre letzte. Damit sind im Einzelfall größere Erfolge zu erzielen als mit sturem Rauchverbot.

Dass die Medizin nun auch Alkohol gänzlich auf den Index setzt, geht in dieselbe Richtung. Es hat wohl damit zu tun, dass auch die Ärzte mit ihren Ratschlägen gerne auf der sicheren Seite sind. Gleiches gilt für die rigiden Regeln eines modernen Lifestyles. Natürlich sind viel Bewegung, ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf richtig. Doch wer sich mit Programmen quält, bei denen jede Kalorie und jede Sporteinheit minutiös geplant sind, und wer womöglich noch mit Nahrungsergänzungsmitteln und Diäten nachhilft, der verliert über alldem den Genuss am Leben, verkrampft innerlich und agiert kontraproduktiv. Die Nürnberger Genussforscher kamen zu einem eindeutigen Befund: Wer genießt, lebt gesünder. Genießer sind mit sich und ihrer Umwelt zufriedener. Sie haben eine positive Lebenseinstellung, sind selbstsicher und meist auch eher die Sympathieträger.

Zur Person

Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl. Alle Beiträge dieser Serie zum Nachlesen unter www.max-grundig-klinik.de.