GesünderNet: Welche konkrete Aufklärungsarbeit verfolgen Sie im Bezug auf die Krankheit AIDS?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Seit über 20 Jahren führt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Informations- und Aufklärungskampagne „Gib Aids keine Chance“ durch. Wichtigstes Ziel der Kampagne war und ist es bis heute, möglichst viele HIV-Neuinfektionen zu verhindern. Ein Schwerpunkt war deshalb von Anfang an, die Menschen zur Nutzung von Kondomen zu motivieren. Die Deutschen sind heute sehr gut darüber informiert, wie sie sich vor einer Ansteckung mit HIV schützen können. Das Schutzverhalten hat sich seit Beginn der Aidsprävention kontinuierlich verbessert: 1987 haben nur 54 Prozent der Befragten mit mehreren Sexualpartnern angegeben, sich mit Kondomen zu schützen. 2009 liegt dieser Anteil bei 84 Prozent.
Ein zweites wichtiges Ziel unserer Aufklärungsarbeit ist es, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem sich HIV-infizierte und an Aids erkrankte Menschen nicht ausgegrenzt oder benachteiligt fühlen. Das Thema Solidarität steht neben der Schutzbotschaft im Mittelpunkt.
GesünderNet: Laut dem Bericht „Aids Epidemic Update“ ist die Zahl aller Neuerkrankten im letzten Jahr um 17 Prozent zurückgegangen. Können Sie einen Rückzug der Krankheit entdecken, oder wird AIDS niemals „eindämmbar“ sein?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: In Deutschland hat sich die Zahl der HIV-Neuinfektionen in den letzten Jahren stabilisiert. Das ist ein entscheidender Erfolg der langjährigen Präventions-Anstrengungen. Dass die Zahl der Aids-Erkrankungen hierzulande zurückgegangen ist, liegt auch an verbesserten Behandlungsmöglichkeiten. Das darf aber keinesfalls als Entwarnung für die Prävention verstanden werden, denn HIV/Aids ist immer noch nicht heilbar.
GesünderNet: In den letzten Jahren hat die Medizinforschung allerhand Therapien, Medikamente und Behandlungsweisen entwickelt, welche die Krankheit unterdrücken, so dass der Patient länger lebt bzw. die Krankheit gar nicht ausbricht. Welche Reaktionen sehen Sie in der Gesellschaft darauf? An mancher Stelle entdeckt man plötzlich Verharmlosungen…
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Durch die medizinischen Fortschritte werden die meisten der heute rund 70.000 in Deutschland lebenden HIV-infizierten Menschen gut behandelt. Sie haben eine fast normale Lebenserwartung. Das ist natürlich eine sehr erfreuliche Entwicklung. Trotzdem dürfen die Nebenwirkungen der Behandlung nicht unterschätzt werden.
Gleichzeitig wird Aids in der Gesellschaft immer unsichtbarer. Dass die Aufmerksamkeit für das Thema insgesamt nachgelassen hat, zeigen unsere repräsentativen Studien. Während heute rund 23 Prozent der Bevölkerung Aids als eine der gefährlichsten Krankheiten bezeichnet, waren es Anfang der 90er Jahre noch etwa 60 Prozent. Unsere Studien zeigen aber auch, dass es keineswegs eine wachsende Sorglosigkeit in Deutschland gibt, sondern dass die Menschen – vor allem Jugendliche – sich immer häufiger und besser mit Kondomen schützen. 86 Prozent der sexuell erfahrenen 16- bis 20-Jährigen benutzen heute Kondome. Während also die wahrgenommene Bedrohung durch Aids abgenommen hat, haben das Wissen und das Schutzverhalten der Menschen weiterhin deutlich zugenommen. Das zeigt, dass es uns in der Aidsprävention gelungen ist, die Informationen über Safer Sex so zu vermitteln, dass sie auch umgesetzt werden.
GesünderNet: Wie Sie sagten ist „Integration“ von HIV-positiven und aidskranken Menschen in die Gesellschaft ein weiterer Punkt Ihrer Arbeit. Welches Problem steckt dahinter und wie kann es gelöst werden?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Bei der Aidsprävention geht es vor allem darum, Menschen mit HIV und Aids Diskriminierung und Stigmatisierung zu ersparen. Die Erfahrung zeigt leider, dass sich viele betroffene Menschen Anfeindungen und Nachteilen ausgesetzt sehen oder diese befürchten, wenn sie ihre Infektion offen legen. Das Problem thematisieren wir in unserer neuen Kampagne zum Welt-Aids-Tag, mit der wir Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV abbauen wollen.
GesünderNet: Wie sollte sich Ihrer Meinung nach ein Zusammenleben zwischen HIV Erkrankten und Gesunden funktionieren?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Menschen mit HIV sind keine Gefahr für ihre Umwelt und haben deswegen jedes Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. Unser Ziel ist, dass Menschen mit HIV auch dann keine Nachteile oder Ausgrenzung in der Gesellschaft, im privaten Bereich und im Berufsleben erleben, wenn sie ihre Infektion offen legen.
GesünderNet: Die BZgA setzt sich stark für die Aufklärungsarbeit in punkto AIDS ein und versucht auch Vorurteilen aus der Bevölkerung entgegenzutreten. Welche Vorurteile hören Sie oft und wie sehr können Sie diese nachvollziehen?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Gerade im Zusammenhang mit Berufstätigkeit taucht immer noch häufig das Vorurteil auf, Menschen mit HIV und Aids seien weniger leistungsfähig und belastbar. Aber wie viele andere Vorurteile trifft auch dieses nicht zu. Tatsache ist, dass etwa zwei Drittel der HIV-Positiven in Deutschland arbeiten. Viele von ihnen legen ihre Infektion aber nicht offen, aus Angst vor Diskriminierung oder Kündigung.
GesünderNet: Wie wirken Sie diesen Vorurteilen entgegen? Was muss sich Ihrer Meinung nach im Bewusstsein der Gesellschaft ändern, damit man von einer Integration der Erkrankten sprechen kann?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Viele Vorurteile gegen HIV-Infizierte und an Aids erkrankte Menschen sind irrational und sitzen oft tief. Wir können nur durch langfristig orientierte Maßnahmen dagegen angehen, wie wir sie seit Jahren durchführen. Von Anfang an war es ein Ziel unserer Kampagne „Gib Aids keine Chance“, für ein gesellschaftliches Klima ohne Diskriminierung von Menschen mit HIV zu werben und vorhandene Diskriminierungen soweit möglich abzubauen. Schon in den 90er Jahren haben wir dazu vor allem zum Welt-Aids-Tag am 1.12. jedes Jahr mit Plakaten, Spots und Aktionen vor Ort Anstöße gegeben und Diskussionen gefördert. Dabei unterstützen uns authentische Menschen mit HIV oder Aids, indem sie sich öffentlich zeigen und dafür einsetzen, Diskriminierung und Stigmatisierung abzubauen.
GesünderNet: Wenn wir uns einen jungen HIV-Erkrankten ansehen. Sagen wir männlich, 24 Jahre alt, arbeitsuchend. Wie gestaltet sich der Alltag eines solchen Menschen? Auf welche Hürden stößt er gesellschaftlich, in der Berufswelt und zwischenmenschlich?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Das Leben mit HIV ist für jeden Menschen unterschiedlich. Auf unserer Kampagnenplattform www.welt-aids-tag.de berichten einige mutige Menschen mit HIV sehr offen und eindrücklich über ihr Leben mit der Infektion und über die Erfahrungen, die sie im Freundeskreis oder bei der Arbeit gemacht haben. Ich kann nur empfehlen, die Seite zu besuchen und sich mit diesen beeindruckenden Menschen und ihren Berichten und Erfahrungen auseinander zu setzen.
GesünderNet: Gibt es Ratschläge, die Sie einem solchen Menschen auf dem Weg geben können, damit dieser besser zu Recht kommt?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: Die Entscheidung, ob und wem gegenüber man in welcher Form z.B. seine HIV-Infektion offenlegt, kann nur der oder die Betroffene selbst fällen. Viele Betroffene berichten inzwischen über positive Erfahrungen, wenn sie anderen Menschen gegenüber offen über ihre Infektion sprechen.
GesünderNet: Wohin soll Ihre Aufklärungsarbeit in den nächsten Jahren gehen?
Prof. Dr. Elisabeth Pott: In den nächsten Jahren werden wir noch mehr als bisher über andere sexuell übertragbare Infektionen aufklären. Denn wir wissen inzwischen, dass solche Infektionen auch das Risiko für eine Ansteckung mit HIV erhöhen. Auf diese Art können wir einen weiteren Beitrag zur erfolgreichen HIV-Prävention leisten. Aber auch das „Leben mit HIV“ werden wir noch stärker thematisieren und damit unseren Beitrag gegen Ausgrenzung und Diskriminierung intensivieren.
GesünderNet: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei Ihrer Arbeit, Frau Prof. Dr. Pott!