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Gesund mit Diehm

Wetterfühligkeit – Gibt es die überhaupt?

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Mehr als die Hälfte aller Deutschen bezeichnet sich selbst als wetterfühlig. Rein wissenschaftlich besehen existiert das Phänomen aber gar nicht. Informationen rund um den menschlichen Körper und die Gesundheit – erklärt von Prof. Dr. Curt Diehm.
Laut einer Studie der Münchner Universitätsklinik und des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2002 bezeichneten sich 54 Prozent aller Deutschen als wetterfühlig. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, Ältere häufiger als Jüngere. Die wissenschaftlich auch Meteoropathie oder Meteorotropismus genannte Befindlichkeitsstörung scheint also durchaus weit verbreitet zu sein. Ausgelöst durch Luftdruckschwankungen, Föhn, Hitzewellen, wechselnde Luftfeuchtigkeit, drückende Luft oder Gewitter wirkt sie sich auf das Allgemeinbefinden, die Stimmung und die Leistungsfähigkeit aus. Und doch reden wir Mediziner ganz bewusst von einer Befindlichkeitsstörung und nicht von einer Erkrankung.

Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis

Seit Jahrzehnten beschäftigt das Phänomen Wissenschaftler rund um den Globus. In zahllosen Studien und Untersuchungen, wird mal ein niedriger Luftdruck für ein erhöhtes Infarktrisiko verantwortlich gemacht, mal ein hoher. Das Magazin „Zeit“ hat dazu vor einiger Zeit einmal den angesehenen Schweizer Atmosphärenphysiker Hans Richner befragt, der die Wetterfühligkeit gemeinsam mit Medizinern seit mehreren Jahrzehnten erforscht. Richner ist überzeugt, dass es sich bei vielen der beobachteten Effekte um sogenannte Scheinkausalitäten handelt. Sein Beispiel: „Der Umsatz an Himbeereis und die Häufigkeit von Sonnenbrand sind hoch korreliert. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, zu sagen, vom Eisessen bekomme man einen Sonnenbrand.“

Dieser Meinung schließen sich übrigens inzwischen immer mehr seriöse Forscher an.

Einfluss auf bestehende Erkrankungen

Davon unbenommen bleibt natürlich die Tatsache, dass Menschen mit einer Vorerkrankung besonders empfindlich auf Wetterphänomene reagieren können. Ein Beispiel: Kälte kann bei einer rheumatischen Gelenkerkrankung die Beschwerden verstärken. Oder vielleicht noch offensichtlicher: Bei Allergikern sorgt eine Wetterlage mit erhöhtem Pollenflug natürlich eher für Beschwerden. Schuld ist hier aber streng genommen nicht das Wetter, sondern eben vielmehr die bestehende Vorerkrankung.

Dazu kommen psychologische Effekte, die gerade in Zeiten allgegenwärtiger Wetter-Apps nicht zu vernachlässigen sind. Wenn nämlich beispielsweise Biowetter-Vorhersagen den Menschen sagen, dass sie in den kommenden Tagen verstärkt mit Kopfschmerzen rechnen müssen, dann wird das auch eintreten. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

In diesen Fällen spricht man vom sogenannten Nocebo-Effekt, dem Gegenteil des bekannteren Placebo-Effekts. Während der Placebo-Effekt dafür sorgt, dass Patienten auch ohne echte Medikamente genesen, werden sie beim Nocebo-Effekt ohne Grund krank – nur aufgrund einer Annahme oder eben einer Wettervorhersage.

Abschließend darum mein Rat. Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken über das Wetter. Es ist nicht an allem schuld, auch wenn man ihm leicht die Schuld zuschreiben kann. Und falls Sie unter regelmäßig wiederkehrenden Beschwerden leiden, reden Sie mit Ihrem Arzt darüber. Vielleicht haben diese ja einen ganz anderen Grund. Mit anderen Worten: Ein eindeutiger wissenschaftlicher Beweis für die Existenz von Wetterfühligkeit steht bis heute aus. Nicht das Wetter beeinflusst unser Wohlbefinden, sondern eben unsere persönliche Verfassung.

Zur Person

Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl. Alle Beiträge dieser Serie zum Nachlesen unter www.max-grundig-klinik.de.

 

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