Auf zwei Beinen durchs Leben Michael Kilian

Auf zwei Beinen durchs Leben

Wie ein Mantra schallt das Gebet aus allen Kehlen über das Gelände des BraveheartBattle. Jeder Teilnehmer feuert sich und seine Mitstreiter an, wie man es sonst nur vom American Football aus dem Fernsehen kennt. Dann ertönt der Startschuss, und die wilde Meute hetzt los. Mittendrin ist Michael Kilian, der diesen 24 Kilometer langen Hindernislauf mit einer Beinprothese meistern will.

„Die ersten Meter war ich so motiviert, dass es mich gleich einmal hingeschmissen hat", lacht der 41-Jährige im Rückblick auf das BraveheartBattle. Doch passiert ist nichts, seine Devise lautete: Aufstehen und weitermachen. Es ist nicht das erste Mal, dass er sie befolgt.

Auf den ersten Kilometern hieß es nur Gas geben. Die vom Veranstalter festgelegte Zielzeit von zunächst fünf Stunden wollte er unbedingt schaffen. Doch bereits nach den ersten der 45 Hindernisse merkte Kilian, dass er in einem Unterschenkel Krämpfe bekommen würde. Nur in einem, weil das andere Bein, bestehend aus Metall und anderen Werkstoffen, keinen Muskelkrampf bekommen kann. Michael Kilians rechter Unterschenkel wurde nach einem Unfall amputiert. Das BraveheartBattle hat er trotzdem zu Ende gebracht.

Weder aufgrund der drohenden Krämpfe, noch wegen der schweren Strecke hat er ans Aufgeben gedacht. „Ich wollte unbedingt durchkommen. Im Nachhinein merke ich, dass ich vom Lauf gar nicht so viel mitbekommen habe. Die anderen waren viel entspannter, ich war extrem fokussiert. Das stinkt mir mittlerweile." Gedanklich habe er sich allerdings des Öfteren von den Strapazen ablenken müssen, kleine Beschimpfungen auf den Veranstalter sind an diesem Tag aber sicherlich nicht nur aus seinem Mund gekommen.

Familie und Freunde sind sein Rückhalt

Aufgeben ist generell nicht die Sache von Kilian. Am 6. Juni 2003 hatte er einen schweren Arbeitsunfall. Für den Bau einer Lagerhalle auf seinem „Weingut Kilian" in Güntersleben, nördlich von Würzburg, wollte der Winzer Bretter auf einem Hänger aufladen. Ein anderer Autofahrer übersah den abgestellten Hänger und quetschte Kilian zwischen diesem und der Windschutzscheibe seines Autos ein. Natürlich rückte alles andere mit einem Mal in den Hintergrund: „Ich habe immer gedacht, dass mein Bein gebrochen ist, dabei war es schon abgetrennt." Auch im Krankenhaus konnte er anfangs nicht positiv denken, so eine Amputation ist eben keine Kleinigkeit. Doch schon bald stellte er fest: „Das Rad dreht sich weiter, mit oder ohne dir. Dann lieber mit dir. Nur du musst halt mitmachen." Seine Familie und Freunde haben ihm Kraft gegeben. Zusätzlich hat ihn bestärkt, dass er eine Beschäftigung hatte: Die Halle, für die er Bauteile hatte holen wollen, musste schließlich fertiggebaut werden. Dafür wurde seine Expertise gebraucht. Zudem wusste er, dass Ende September die Weinlese beginnt. Ein Termin, der für einen Winzer mit der Wichtigste des Jahres ist. Nur drei Monate nach seinem Unfall war er also wieder voll im Berufsleben zurück.

Man muss etwas für seine Gesundheit tun

Seine kämpferische Einstellung bewahrt ihn vor dem Rollstuhl und das soll auch in Zukunft so bleiben. Dafür muss er sich fit halten. Er kann die Leute nicht verstehen, die nur jammern, sich aber nicht anstrengen. „Man muss halt aktiv mitmachen. Wenn man etwas will, dann geht auch viel", verdeutlicht Kilian. Dabei müsse es ja nicht gleich ein Extremlauf sein, regelmäßige Spaziergänge sind auch schon sinnvoll. Zudem verhindere körperliche Fitness und Bewegung auch andere Folgeerkrankungen, wie Übergewicht, Diabetes oder Kreislaufprobleme. „Eigentlich müssten die Krankenkassen viel mehr hinterher sein und Bewegung fördern und fordern, und nicht gleich jeden im Rollstuhl sitzen lassen", verdeutlicht Kilian seine Meinung.

Er selbst hat zudem Glück gehabt, schon in der Reha auf einen fähigen Orthopädietechniker zu treffen. Dieser habe ihm gleich „viel Technik ans Bein geschraubt", wie er sagt. Kilian hat einen technisch hochwertigen Fuß, der den Träger beim Gehen unterstützt: „Der ist anfangs richtig gehüpft, weil er so viel Energie nach vorne abgibt. Wenn man den steuern kann, dann kann man viel leichter laufen", beschreibt er seine Prothese. Natürlich ist er mit diesem auch beim BraveheartBattle gestartet.

Gehen mit Prothese kostet mehr Kraft

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Da seine Prothese mit Unterdruck an seinen Beinstumpf angesaugt wird, durfte die Kniekappe auf keinen Fall beschädigt werden. Sonst würde die Prothese einfach abf

allen, weil der Unterdruck nicht mehr besteht. So konnte er auch nicht, wie die anderen Teilnehmer, auf Knien durch den Matsch oder unter Hindernissen hindurch robben. Er musste sich stattdessen seitlich fortbewegen, was deutlich mehr Kraft und Zeit kostet.

Schon das normale Gehen kostet mit einer Prothese ungefähr 30 bis 40 Prozent mehr Kraftaufwand, da schlichtweg die Muskelunterstützung fehlt. Bereut hat er die Teilnahme am Extremlauf trotzdem nicht. „Ich wusste, dass ich die Kilometer schaffe, auch wenn ich nicht dachte, dass es so hart werden würde. Aber ganz normal kann man eh nicht sein, wenn man bei so etwas mitmacht. Es war eine super Veranstaltung."

Leben geht genauso weiter wie vorher

Dass Kilian an dem Lauf teilgenommen hat, zeigt seine Stärke: „Es funktioniert alles, natürlich gibt es auch mal Probleme. Aber es geht genauso weiter, das ist überhaupt kein Problem", beschreibt Kilian sein jetziges Leben. Anderen Menschen möchte er dies mit der Teilnahme am BraveheartBattle und seinem selbstbewussten Auftreten beweisen. Genauso wie er nach dem Krankenhausaufenthalt Besuch zuhause von einem Unterschenkelamputierten bekam, der ihm Mut gegeben hat, will er anderen Leuten Mut machen, die ein ähnliches Schicksal haben. „Das hilft wirklich weiter", kann er aus eigener Erfahrung bestätigen.

Foto im Text: Susanne Wahler-Göbel