Risikofaktor Lärm Sam Williams auf Pixabay
Gesund mit Diehm

Risikofaktor Lärm

Lärm macht uns krank, sagt der Volksmund. Dass das stimmt, haben inzwischen mehrere Studien bewiesen. Informationen rund um den menschlichen Körper und die Gesundheit – erklärt von Prof. Dr. Curt Diehm.
Schon der große deutsche Mediziner Robert Koch wusste: „Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.“

Lärm macht uns krank, sagt der Volksmund. Dass das stimmt, haben inzwischen mehrere Studien bewiesen. Es mehren sich die Proteste über ständig zunehmenden Umweltlärm. Autos, Züge, Flugzeuge und viele weitere von Menschen gemachte Maschinen erzeugen Lärm ohne Ende. Gerade in Einflugschneisen großer Flughäfen gibt es Protestaktionen mit dem Motto „Fluglärm macht krank“. Inzwischen haben sich auch namhafte Mediziner an die Spitze dieser Protestbewegungen gesetzt, weil sie zur Auffassung kommen, dass Lärm die Gesundheit schädigen kann.

Zuerst einmal stellt Lärm ein enormes Risiko für unser Gehör dar. Das Gehör ist sozusagen immer an und verfügt über keinen natürlichen Schutzmechanismus. Die Augen kann man spontan schließen, die Ohren nicht. Erst kürzlich hat eine Studie iranischer Forscher in der dortigen Fliesen- und Keramikindustrie gezeigt, dass bereits zwei Jahre Lärm am Arbeitsplatz ausreichen, um das Gehör auf Dauer zu schädigen. Das ist besonders bedenklich, weil laut einem Bericht der EU auch bei uns fast ein Drittel aller Arbeitnehmer dauerhaft einer zu hohen Lärmbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt sind.

Selbst bei ungeborenen Babys kann Lärm bereits das Gehör in Mitleidenschaft ziehen. Das belegt eine Studie des Instituts für Umweltmedizin des Karolinska-Instituts im schwedischen Stockholm. Demnach brachten Mütter, die in Teilzeit arbeiteten und mehr als 85 dB(A) ausgesetzt waren, 1,27mal so häufig schwerhörige Kinder zur Welt im Vergleich zu Teilzeitbeschäftigten, die weniger als 75 dB(A) ausgesetzt waren. Bei den Vollzeitbeschäftigten, die 85 und mehr dB(A) ausgesetzt waren, lag das Risiko sogar bei 1,82.

Ob die einzelnen Geräusche über 85 dB(A) das menschliche Gehör gefährden, hängt immer davon ab, wie lange man sich dem jeweiligen Klangereignis aussetzt. So sind etwa beim Musikhören Pausen empfehlenswert. Eine Dauerbeschallung verhindert nämlich die Erholung der sogenannten Zilien – der feinen Härchen auf den Haarzellen im Innenohr. Diese können verkleben oder sogar abbrechen. Tote Zilien sind für immer verloren und ein Verlust des Hörvermögens kann nicht geheilt werden – selbst eine Operation kann keine Abhilfe schaffen.

Bereits vor einigen Jahren hat auch eine deutsche Studie die Auswirkungen insbesondere von Verkehrslärm auf Lebensqualität, Krankheitsrisiken, Blutdruck und Schlaf sowie auf die geistige Entwicklung untersucht. Die unter dem Namen NORAH (Noise Related Annoyance Cognition and Health) veröffentlichte Studie konnte erstmals nachweisen, dass dauerhafter Verkehrslärm das Risiko erhöht, an Depressionen oder Herzinsuffizienz zu erkranken. Auch das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, stieg bei dauerhaftem Lärm ausgesetzten Menschen signifikant an. Am schädlichsten erwiesen sich dabei laut der Studie Schienenlärm gefolgt von Straßen- und Fluglärm.

Die WHO berichtete im Jahr 2018: „Nach eher konservativen Schätzungen gehen pro Jahr lärmbedingt 61.000 gesunde Jahre aufgrund von koronarer Herzkrankheit, 45.000 gesunde Jahre aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen bei Kindern, 903.000 gesunde Jahre aufgrund von Schlafstörungen, 22.000 gesunde Jahre aufgrund von Tinnitus und 587.000 gesunde Lebensjahre aufgrund von Ärger und Stress verloren oder anders ausgedrückt: Rund 1,6 Millionen gesunde Lebensjahre gehen pro Jahr in der Europäischen Union und den weiteren westeuropäischen Staaten durch Lärm verloren“.

In einer aktuellen Studie haben Kardiologen der Universität Mainz um Prof. Dr. Thomas Münzel zeigen können, dass Fluglärm das Herz außer Takt bringen kann. Das gefürchtete Vorhofflimmern, das meist mit einer starken Arrhythmie des Pulsschlages verbunden ist, steigt unter Lärmeinfluss signifikant an. Dieselbe Forschungsgruppe aus Mainz konnte auch zeigen, dass nach nächtlichem Fluglärm die Gefäßfunktion gestört wird, ausgelöst durch die vermehrte Bildung freier Radikale, durch entzündliche Prozesse und oxidativen Stress auf die Gefäße und auf das Gehirn. Dadurch kommt es zu Blutdruckerhöhungen und zu Vorgängen, die den Arteriosklerose-Prozess begünstigen.

Alles in allem lässt sich festhalten: Verkehrslärm ist ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ebenso haben Studien gezeigt, dass der Blutdruck auch durch Straßenlärm deutlich ansteigt. Pro zehn dB(A) Erhöhung des Geräuschpegels im Straßenlärm steigt die Wahrscheinlichkeit, einen erhöhten Blutdruck zu entwickeln, um 17 Prozent. Man geht heute davon aus, dass Lärmpegel zwischen 45 und 75 dB(A) den Blutdruck deutlich erhöhen.

Dezibel-Skala: Wie laut ist laut?

Als Lärm werden Geräusche bezeichnet, die als störend empfunden werden. Die Lautstärke wird mit dem physikalischen Maß Dezibel dB(A) angegeben. Bei der Dezibel-Skala handelt es sich um eine logarithmische Skala, die Werte folgen also keinem linearen Verlauf. Somit sind auf dieser Skala 100 dB(A) nicht automatisch doppelt so laut wie 50 dB(A). Stattdessen entspricht eine Zunahme von nur 10 dB(A) in der subjektiven menschlichen Wahrnehmung einer Verdopplung der empfundenen Lautstärke.

WHO warnt vor Schlafstörungen durch Lärm

Doch nicht nur die direkten Auswirkungen des Lärms, auch die indirekten können schädliche Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. So hat eine Studienauswertung im Auftrage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gezeigt: Wenn Lärm zu Schlafstörungen führt, steigt gleichzeitig auch das Risiko für Allergien, Herzerkrankungen und Bluthochdruck sowie Migräne an.

Für die vielen von uns, die in Ballungsräumen leben und nahezu rund um die Uhr beschallt werden, ist das eine äußerst bedenkliche Nachricht. Denn als Hauptquellen für eine nächtliche Belastung durch Lärm wurde in der Studie Straßenverkehrslärm und Nachbarschaftslärm genannt – beiden kann man kaum entkommen.

Zur Person

Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl. Alle Beiträge dieser Serie zum Nachlesen unter www.max-grundig-klinik.de.