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Gesund mit Diehm

Werden wir bald 100 Jahre alt?

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Unsere biologische Uhr tickt - aber tickt sie in Zukunft länger? Informationen rund um den menschlichen Körper und die Gesundheit – erklärt von Prof. Dr. Curt Diehm.
Als Jean Marie Robine und Michel Allard, der Chef der Ibsen Foundation, 1990 eine landesweite Studie an über 100-jährigen in Frankreich starteten, glaubten sie zunächst an eine Computer-Fehlmeldung zu Jeanne Calment. Erst eine Überprüfung im Einwohnermeldeamt in Arles ergab, dass die Angaben stimmten. Jeanne Calment war wirklich 1875 geboren und 115 Jahre alt.

Ärzte, Journalisten und Wissenschaftler stürzten sich anschließend auf ihre Biografie. Die Dame musste zeitlebens nicht hart arbeiten, wohnte großzügig über Ihrem Ladengeschäft und fuhr bis ins hohe Alter täglich mit dem Fahrrad. Sie malte, praktizierte Roller Skating und jagte. Täglich trank sie ein Glas Port, aß Schokolade und rauchte mit großem Vergnügen. Sie war bekannt für ihren Optimismus, ihre gute Laune und ihren Witz.

Immer mehr Menschen erreichen wie Jeanne Calment heute ein biblisches Alter. Dies wirft die Frage auf, wie alt kann der Mensch überhaupt werden? Sind die magischen 100 Jahre künftig für viele von uns erreichbar? Die Anzahl der sehr Alten hat in den vergangenen Jahrzehnten fast sensationell zugenommen. Die Vereinten Nationen haben erhoben, dass 1990 ungefähr 95.000 100-jährige weltweit lebten. Im Jahre 2015 waren es schon 450.000. Altersforscher schätzen, dass zum Übergang ins nächste Jahrhundert bereits rund 25 Millionen Menschen weltweit über 100 Jahre alt sein werden.

Der heute älteste Mensch der Welt, Kane Tanaka, war im September 2020 117 Jahre alt. Traditionell bekommen Japaner zum 100. Geburtstag vom Premierminister einen Silberbecher geschenkt. Mittlerweile gibt es in Japan so viele Hundertjährige, dass die Regierung aus Kostengründen die Becher nur noch versilbert.

Wie alt wurden wir in der Vergangenheit?

Welchen Fortschritt diese Zahlen markieren, verdeutlicht ein Blick in die Vergangenheit. In der Steinzeit betrug die mittlere Lebenserwartung der Männer 33 Jahren, bei Frauen lag der Wert bei 30 Jahren. Kleinkinder wurden bis zu einem Alter von drei bis vier Jahren durch Stillen an der Brust ernährt.

Im Mittelalter sank die Lebenserwartung sogar noch. Frauen wurden im Schnitt nur 25 Jahren, Männern 32 Jahren. Ein hartes Leben, frühe Erkrankungen und Infektionen, im Prinzip keine oder falsche Medikation, katastrophale Hygiene, all das bedingte bei den meisten Menschen ein so kurzes Leben. Durch die Pest etwa starben an einer einzigen Epidemie zwischen 1348 und 1352 mehr als ein Viertel der europäischen Bevölkerung. 40 Prozent der Kinder erreichten die Pubertät nicht. Auch im Römischen Reich waren die Verhältnisse einige Jahrhunderte davor im Übrigen nicht besser. In der Antike betrug die Lebenserwartung im Schnitt 30 Jahre.

Erst im Zeitalter der industriellen Revolution verbesserte sich die Situation, vor allem durch den medizinischen Fortschritt und bessere Hygiene. Doch auch um 1900 erreichten Männer im Durchschnitt gerade einmal knapp über 40 Jahre, Frauen 43,4 Jahre. Sprunghaft stieg die Lebenserwartung in der westlichen Welt erst nach dem II. Weltkrieg. Heute werden in Deutschland Männern 78,9 Jahre und Frauen 83,6 Jahre. Das ist aber bei weitem noch nicht das Ende der Entwicklung. Im Jahre 2060 prognostizieren Bevölkerungsforscher deutschen Männern eine Lebenserwartung von 84,4, Frauen von 88,1 Jahren.

Kürzere Telomere, kürzeres Leben?

Aber was genau verlängert so rasant das erreichbare Lebensalter? Es sind vor allem die Erkenntnisse der Telomeren-Forschung, die Aufklärung versprechen. Telomeren sind Nukleotidsequenzen am Ende der Chromosomen. Sie steuern unsere biologische Uhr.

Für die Entdeckung der Telomeren und der Telomerase erhielten Elisabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak 2007 den Nobelpreis in Medizin. Je länger die Telomeren, desto länger das Leben. Wenn unsere Zellen im Rahmen ihrer Alterung die Chromosomenenden verlieren, sterben die Zellen früher ab und mit ihnen auch wir.

Anhand von Blutproben haben Forscher in Utah demonstrieren können, dass Menschen über 60 Jahre mit kurzen Telomeren doppelt so häufig in den nächsten 15 Jahren sterben werden als 60jährige mit längeren Telomeren. Bei ihnen treten vor allem arterielle Durchblutungsstörungen im Herzkranz und anderen Organen, Schlaganfälle und auch vermehrt Lungenentzündungen auf. Zudem fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Telomeren von Frauen um 3,5 Prozent länger sind als die von Männern - eine plausible Erklärung, warum Frauen auch länger leben.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu verstehen, welche Faktoren die Telomerenlänge und die Telomerase-Aktivitäten ungünstig beeinflussen. Folgende Lifestyle Faktoren haben sich dabei ergeben. Psychischer Stress hat einen ungünstigen Einfluss auf die Telomerenlänge. Je höher die Adrenalinausschüttung desto kürzer die Telomeren und desto kürzer das Leben. Ebenso ungünstig ist oxidativer Stress.

Ungünstige Auswirkungen finden sich vor allem auf die innerste Gefäßschicht unserer Schlagadern. Eine weitere ungünstige Rolle spielen Entzündungsprozesse im Körper, vor allem sogenannte stille Infekte. „Silent Inflammation“ nennen das US-amerikanische Forscher. Auch oxidiertes LDL-Cholesterin beeinflusst die Telomerase-Aktivität sehr negativ.

Eine weitere Untersuchung hat gezeigt, dass Frauen mit einem höheren Vitamin D-Spiegel in ihren weißen Blutkörperchen längere Telomeren besitzen. Offenbar stabilisiert Vitamin D die Telomeren. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass durch eine einfache Lifestyle- Interventionen die Telomerenlänge um fast 30 Prozent beeinflusst werden kann. Hier kommen nun jene Tipps ins Spiel, die uns inzwischen geläufig sind. Dazu gehören unter anderem viel Bewegung, Gewichtsabnahme, Reduktion von Fetten und Kohlenhydraten in der Ernährung sowie die Aufnahme von ausreichend Omega-3-Fettsäuren (Fischöl).

Zur Person

Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl. Alle Beiträge dieser Serie zum Nachlesen unter www.max-grundig-klinik.de.