Fettverteilungsstörung - Neue Ansätze in der Therapie des Lipödems unsplash.com; Földiklinik; Dr. Tobias Bertsch
Diagnose Lipödem – Was steckt dahinter

Fettverteilungsstörung - Neue Ansätze in der Therapie des Lipödems

Bei der Diagnose Lipödem und der passenden Therapie scheiden sich die Geister. Erst jahrelang nicht anerkannt, dann oft viel zu spät bei Patientinnen erkannt. Nun stellt man fest, dass der Begriff Lipödem wohl vollkommen falsch gewählt ist.
Ein Ödem beinhaltet grundsätzlich Wassereinlagerungen. Mehrere internationale Studien haben aber inzwischen gezeigt, dass bei Lipödem-Patientinnen gar keine Flüssigkeit eingelagert wird und auch die Lymphgefäße wie bei jeder anderen gesunden Frau aussehen – dünn und feingliedrig.

Lip- ist der Wortherkunft (altgriechisch λίπος lípos „Fett“) nach hingegen richtig, denn Fetteinlagerungen sind da: Zu viel Fett wird an den Ober- und Unterschenkeln, oft auch den Oberarmen, meist disproportional zum Rest des Körpers, eingelagert. Handelt es sich folglich schlicht und einfach um eine Fettverteilungsstörung? Schlicht und einfach ist gutgesagt, wären da nicht die zugehörigen Schmerzen und die unschöne Optik, über die Betroffene klagen. Bisher wurde das Lipödem mit manueller Lymphdrainage und Kompressionsbestrumpfung behandelt, zu gesunder Ernährung und Bewegung wurde geraten – wenn auch häufig mit dem Beisatz: „Ändern wird sich an den Umfängen aber nichts, das Lipödem wird im Laufe der Zeit eher größer werden.“

Therapie: Schmerzen beim Lipödem behandeln

In mehrjährigen Beobachtungsstudien konnten die Mediziner der Földiklinik (unten im Bild), einer Rehaklinik für Lymph- und Lipödempatienten in Hinterzarten, bei regelmäßig behandelten Lipödem-Patientinnen feststellen, dass das Lipödem nicht unaufhörlich wächst. Nimmt man nicht zu, wird das Lipödem auch nicht größer.

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Auch beteiligten sich die Mediziner der Schwarzwälder Klinik an internationalen Forschungsprojekten, um den Schmerzen bei Lipödem-Patientinnen auf den Grund zu gehen. Ausgemacht wurden kleine Entzündungen im Fettgewebe, ausgelöst durch Hormone und daraus resultierendem Sauerstoffmangel, die für die Schmerzen verantwortlich sind. Ist eine Patientin besonders gestresst, depressiv oder anderweitig seelisch belastet, verstärkt dies den Schmerz den Erfahrungen nach zusätzlich.

Basierend auf diesen neuen Erkenntnissen zum Lipödem entwickelte die Földiklinik ein effektives ganzheitliches Therapie-Konzept zur Behandlung des Lipödems: Viel Sport mit Bandagierung/Kompression der betroffenen Gliedmaßen, Einsparung entzündungsfördernder Lebensmittel, psychologische Betreuung und Entspannung. Lymphdrainage ist hier nicht mehr Teil des Konzepts.
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Wir trafen Dr. Tobias Bertsch, Leitender Oberarzt der Földiklinik und Präsident der International Lipoedema Association (ILA), zum Gespräch über die neuen Erkenntnisse zum Lipödem.


Herr Dr. Bertsch, Lymphdrainage wurde in der Vergangenheit als das Mittel der Wahl bei einer Lipödem-Therapie angesehen. An der Földi Klinik gehen Sie nun aber andere Wege...

Lymphdrainage wird gemacht, um Wasser aus dem Gewebe zu verdrängen. In verschiedenen Studien konnte aber nachgewiesen werden, dass in einem Lipödem gar keine Flüssigkeit vorhanden ist. Dass die Lymphdrainage trotzdem als hilfreich empfunden wird, liegt daran, dass es prinzipiell guttut, massiert bzw. berührt zu werden.

Kompressionsbestrumpfung wird nun also auch nicht mehr getragen, um vermeintliches Wasser aus dem Gewebe zu drängen? Warum empfehlen Sie sie dennoch?

Kompression durch Bandagierung oder Kompressionsstrümpfe wirkt ebenso wie Bewegungstherapie antientzündlich und trägt somit zur Beschwerdebesserung bei. Diese Beschwerdebesserung erleben Patientinnen z. B. auch beim Schwimmen im Wasser, wo der Wasserdruck die Kompression auf das Gewebe ausübt.

Warum ist der Sport mit Bandagierung und zu Hause mit Kompression so viel effektiver?

Aus der Sportmedizin weiß man, dass auch Bewegung einen antientzündlichen Effekt hat, daher wird der Schmerz gelindert. Allerdings muss man bedenken, dass man durch Sport alleine nicht extrem viel abnehmen wird, man wird eher straffer und fitter. Bei ausgewogener Ernährung und dreimal am Tag sattessen, müsste man täglich mindestens eine Stunde Sport machen, um substantiell an Gewicht zu verlieren. Daher sollte man nicht nur trainieren, um Gewicht abzunehmen. Gerade beim Lipödem ist die psychische Gesundheit ein wichtiger Punkt: Sport ist das beste Antidepressivum. Und machen Sie Sport, der ihnen Spaß macht, Sport kann nämlich glücklich machen.

Wie sollte man sich bei einem Lipödem ernähren?

Man sollte sich auf alle Fälle zuckerarm ernähren. Regelmäßiger Konsum von Softdrinks ist sicher problematisch. Wir wissen, dass Zucker eine proentzündliche und damit schmerzverstärkende Wirkung hat. Deswegen kann es hilfreich sein, auf eine zuckerarme Ernährung zu achten.

Warum ist die psychologische Betreuung so wichtig?

Stress, Angst, Depression und Essstörungen führen zu einer erhöhten Schmerzwahrnehmung, das ist nicht nur beim Lipödem so, sondern auch bei anderen chronischen Krankheiten. Deswegen ist es wichtig die Schmerzwahrnehmung zu reduzieren, indem ich die psychische Situation der Patienten verbessere. Die Patientinnen benötigen Tools, um den Stress, den sie erleben, zu verringern. Denn wenn sich die psychische Belastung verringert, sinkt auch die Schmerzwahrnehmung. Daher bieten wir Patientinnen neben der Einzel – und Gruppentherapie auch Yoga, Meditation und autogenes Training an. Kernstück der psychologischen Lipödem-Therapie ist die psychologische geführte Lipödemgruppe: „Aktiv in ein gutes Leben“, bei der fokussiert auf die belastenden Themen der Patientinnen eingegangen wird. Themen wie z. B. Wut, Angst oder Scham.

Wie stehen Sie zur Liposuktion? Worauf sollte man achten?

Liposuktion kann Sinn machen, wenn die Patientinnen keine relevante Adipositas haben, das heißt ihr BMI unter 35 liegt und das Gewicht schon seit vielen Jahren stabil ist. Nach einer Liposuktion kann man wieder zunehmen, das ist vielen nicht klar, das Gewicht muss danach unbedingt gehalten werden, sonst waren Kosten und Schmerzen umsonst.

Welchen Tipp haben Sie abschließend noch für Betroffene?

Neben regelmäßiger Bewegungsaktivität – idealerweise Sport – und Tragen von flachgestrickten Kompressionsstrümpfen ist auch die Selbstakzeptanz ganz wichtig. Die Sicht der Frauen auf ihren Körper ist viel zu kritisch, es ist eher ein gesellschaftliches Problem als ein medizinisches. Das Thema Lipödem hängt sehr stark mit dem Schönheitsideal zusammen. Die in den Medien und vor allem auf Social Media stetig präsenten oft mageren Models tragen wesentlich dazu bei, dass Frauen ihre Beine als zu dick empfinden. Und ein vermeintlich dickes Bein alleine ist kein Lipödem, diese Diagnose geht mit Schmerzen einher. Wer weiß, wie das Schönheitsideal in 10 Jahren ist… Man besteht doch als Mensch aus so viel mehr als nur Gewicht.

Weitere Infos:

Oft führen Fehl- und interessensgesteuerte Information Patientinnen zur Verunsicherung. Gerade wurde die weltweit erste und einzige professionelle Fachgesellschaft, die International Lipoedema Association gegründet, bestehend aus Ärzten, Psychologen und Therapeuten aus 22 Ländern. Auf deren Website können sich Betroffene über den aktuellen Stand in der Lipödem Forschung informieren: theila.net
 

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