Die Forscher haben auch ein Enzym entdeckt, das offenkundig als „Jungbrunnenenzym“ bezeichnet werden kann, da es „abgenutzte Telomere“ zu reparieren vermag. Weltweit forscht die Pharmaindustrie heute an Telomerase-Medikamenten, die die Zellalterung verhindern sollen. Das Problem könnte aber sein, dass durch eine Manipulation an den Telomeren zugleich Krebs erzeugt werden könnte. Es hat sich nämlich gezeigt, dass auch in Krebszellen die Telomerase eine endlose Reproduktion bewerkstelligen kann.
Jenseits der seriösen Forschungen baut eine ganze Medizinrichtung auf der Idee, dem Altern ein Schnippchen zu schlagen, auf: die „Anti-Aging-Medizin“. Ist dies die Medizin des 21. Jahrhunderts? Bislang lässt sich festhalten: Jenseits von großen Versprechen sehe ich nur wenig Erfolge. Schulmediziner stellen das ganze Konzept kritisch infrage. Viele Mythen der Anti-Aging-Medizin wurden inzwischen entlarvt. Testosteron, DHEA, Östrogen und Wachstumshormone befinden auf den ersten Plätzen der Hitliste der Anti-Aging-Medizin. Evidenzbasiert steht die Substitution der Wunderhormone aber auf mehr als wackeligen Beinen. Positive Wirkungen sind mehr als umstritten, ungünstige Nebenwirkungen dagegen sind gesichert. Jedweder wissenschaftliche Beweis für die Hypothese, dass Vitamin C– und E–Substitution als Basistherapie den Alterungsprozess stoppen kann, steht ebenfalls aus. Dasselbe gilt auch für den Einsatz von Liponsäure zur Regeneration dieser Vitamine. Auch Ginkgo biloba und Melatonin sind in ihrer Wirkung umstritten. Ich rate zu einer strikten Zurückhaltung beim Einsatz von Pillen– und Hormoncocktails. Zu unscharfe Indikationen, zu fadenscheinige Studien. Solche Cocktails nützen meist nur dem Portemonnaie des Anbieters.
Um gesund zu altern, bedarf es weder Anglizismen noch neuer Fachgesellschaften und Institute. Bewegung und gesunde Ernährung sind besser als Anti-Aging-Präparate. Der mediterranen Küche werden zu Recht lebensverlängernde Kräfte zugesprochen. Dazu gehören viel Obst und grünes Gemüse („five a day“), mehr Fisch, weniger Fleisch. Und wenn Fleisch, dann Geflügel. Auch Tomaten sind wichtig. Ihr Inhaltsstoff Lycopin wirkt antioxidativ. Die richtigen Öle wie Rapsöl für kalte Speisen und möglichst hochwertiges Olivenöl (auch zum Braten) gehören ebenfalls dazu. Etwas Alkohol zum Essen, genauer gesagt 1/8 bis ¼ Wein, schadet nicht. Rotwein scheint medizinisch durch seinen Gehalt an Polyphenolen etwas günstiger zu sein als Weißwein.
Fazit: Wann immer ich „Anti-Aging-Medizin“ oder Slogans wie „Forever Young“, „Hormonal Regeneration“ oder „Hollwood´s Secret“ höre, bekomme ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Warum nicht einfach auf Deutsch: „gesund alt werden“ oder „gesund altern“? Das klingt weniger glamourös, ist aber viel ehrlicher.
Der Autor
Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl. Alle Beiträge dieser Serie zum Nachlesen unter www.max-grundig-klinik.de.Hier gibt es alle Beiträge der Serie Gesund mit Diehm