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Gesund mit Diehm

Reiseübelkeit – Woher sie kommt und was hilft

Millionen Deutschen schlägt bereits die Anreise in den wohlverdienten Urlaub im wahrsten Sinne des Wortes auf den Magen. Reiseübelkeit – medizinisch Kinetose genannt – zählt zu den weit verbreiteten Leiden. Wie kommt es dazu und was kann man dagegen machen? Informationen rund um den menschlichen Körper und die Gesundheit – erklärt von Prof. Dr. Curt Diehm.
Am besten charakterisiert die englischsprachige Bezeichnung „Motion Sickness“ (zu Deutsch Bewegungserkrankung) die bei uns Reiseübelkeit genannte Befindlichkeitsstörung, tritt sie doch besonders häufig auf kurvenreichen Autofahrten, bei Turbulenzen im Flugzeug oder bei starkem Seegang auf. Immer, wenn der Körper unnatürlichen Beschleunigungen und Gleichgewichtsveränderungen ausgesetzt ist, reagiert er.

Dann empfängt das zentrale Nervensystem widersprüchliche Botschaften von den Gleichgewichtsrezeptoren des Körpers: den Innenohren (vestibuläres System), den Augen (visuelles System) und den Muskeln auf dem Rücken bis zu den Füßen (propriozeptives System). Vereinfacht ausgedrückt signalisiert dann das Innenohr, dass man sich bewegt, aber die Augen sagen, dass man es nicht tut - weil der Körper in Bezug auf seine unmittelbare Umgebung, wie beispielsweise den eigenen Sitz, den Boden oder den vorderen Sitz, bewegungslos ist.

Gehörlose Menschen kennen keine Reiseübelkeit

Bestätigt wird dies auch durch die Beobachtung, dass ein funktionierendes Gleichgewichtssystem eine Voraussetzung für die Entstehung von Reiseübelkeit bildet. Schon eine vielzitierte Studie aus dem Jahr 1968 zeigte, dass gehörlose Teilnehmer in einem schmalen Holzboot bei über zehn Meter hohen Wellen vor dem kanadischen Ufer nicht seekrank wurden.

Wer ist betroffen?

Prinzipiell kann jedoch nahezu jeder reisekrank werden. Bis zu zehn Prozent der Menschen reagieren besonders empfindlich. Ebenfalls rund zehn Prozent sind komplett resistent. Die verbleibenden 80 Prozent können die Überempfindlichkeit im Laufe des Lebens bekommen, oder auch nicht. Statistisch besehen sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Kinder zwischen dem zweiten und zwölften Lebensjahr sind besonders anfällig. Und nach dem 50. Lebensjahr kommt Reiseübelkeit nur noch sehr selten vor. Ein Grund liegt wahrscheinlich darin, dass die Sinnesorgane mit zunehmendem Alter deutlich unempfindlicher werden.

Was hilft bei Reisekrankheit?

Antihistaminika zählen zu den meistverkauften Präparaten gegen Reiseübelkeit. Allerdings können sie zu individuell starken Nebenwirkungen führen. Scopolamin wird in Form von Pflastern (hinter dem Ohr) sowie Tabletten und Kaugummis erfolgreich gegen Übelkeit und Erbrechen bei Reisekrankheit, vor allem Seekrankheit, eingesetzt.

Manche Betroffene schwören auf Ingwer- oder Pfefferminztee. Andere tragen Armbänder mit Druckpolstern, um die Übelkeit zum mindern. Wissenschaftlich besehen konnte nichts davon belegt werden. Hier ist es wohl, wie so oft, der Placebo-Effekt, der für die lindernde Wirkung verantwortlich zeichnet. Eine 2013 veröffentlichte Untersuchung der Psychologen Behrang Keshavarz vom Toronto Rehabilitation Institute und Heiko Hecht von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beschreibt sogar, wie angenehme Musik und Gerüche dazu beitrugen, die Reiseübelkeit zu lindern.

Mein Tipp: Versuchen Sie zuerst einmal, auf der Reise typische Fehler zu vermeiden. Schauen Sie im Auto nicht aus dem Seitenfenster. Wählen Sie im Bus einen Platz möglichst weit vorne, im Schiff einen Bereich in der Mitte, im Flugzeug einen Gangplatz auf Höhe der Tragflächen. Verzichten Sie während der Reise aufs Lesen, nehmen Sie vor und während der Reise nur leichte Kost zu sich und legen Sie, wenn möglich, regelmäßig Pausen mit viel frischer Luft ein. Das reduziert das Risiko schon deutlich.

Und sollte alles nichts helfen, dann sprechen Sie mit Ihrem Arzt darüber. Es gibt heute verschreibungspflichtige Medikamente, mit denen Sie ohne oder nur mit geringen Nebenwirkungen auch Ihre nächste Reise ohne Übelkeit genießen können.