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Erstes Kind – Elternzeit und Krisen

Das erste Kind ist da. Für manche Paare droht das erste Kind aber zur Zerreißprobe zu werden. Wenig Schlaf, zurückgestellte Bedürfnisse und die ungewohnte Verantwortung für ein abhängiges Wesen sind für junge Eltern nur einige Herausforderungen in ihrer neuen Rolle. Warum es Eltern heutzutage so schwer haben, wie sie ihre Beziehung über diese erste Erfahrung hinweg pflegen können und was sie gegen das „Sich-Entfernen“ tun können – darüber sprachen wir mit Diplom-Psychologin Micaela Peter.

GesünderNet: Frau Diplom-Psychologin Micaela Peter, es gibt Paare, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein Kind. Das was viele Paare als Krönung der Beziehung gesehen wird, kann auch der Anfang vom Ende bedeuten. Ist der Traum vom gemeinsamen Kinderglück also eine Illusion?

Micaela Peter: Nein, denn nach wie vor bleiben die meisten Eltern auch nach der Geburt eines Kindes zusammen. Gleichwohl gibt es einen Trennungsgipfel nach der Geburt des ersten Kindes. Als Ursache werden die Strapazen im Zusammenhang mit der neuen Familiensituation genannt. Grundsätzlich gilt, dass Paare, die auch vor der Geburt ein gutes Team waren und Harmonie und Unterstützung erlebt und gelebt haben, in der Regel die Herausforderungen nach der Geburt gut oder besser meistern als die Paare, die ohnehin häufige Konflikte oder instabile Bedingungen haben. Für diese Paare wird es dann zur Zerreißprobe.

GesünderNet: In Ihrem Podcast geben Sie unter anderem als Grund an, dass sich werdende Eltern auf die herausfordernde Zeit nach der Geburt des ersten Kindes nicht ausreichend vorbereiten. Was genau meinen Sie damit?

Micaela Peter: Zunächst einmal trifft die Eltern keine Schuld, denn woher sollen sie wissen, was auf sie zukommt, wenn es Ihnen zuvor niemand sagt und sie auch noch keine eigenen Erfahrungen sammeln konnten. Es zeigt sich jedoch deutlich, dass eine Vorbereitung auf das Familienleben mit all seinen Veränderungen große Vorteile mit sich bringt. Leider werden die Geburtsvorbereitungskurse nicht dazu genutzt, Eltern besser auf die Rollen als Vater und Mutter einzustimmen. Sie erfahren nicht, dass sich ihre sozialen Kontakte mit großer Wahrscheinlichkeit verschieben werden, dass sie sich für eine längere Zeit auf eine nur eingeschränkte Intimität vorbereiten müssen, dass sich das Baby, kurze Nächte und Müdigkeit deutlich auf die Libido auswirken. Dies sind nur einige Beispiele, was sich alles verändern wird. Insofern ist es kein Versäumnis der Eltern, sich nicht hinreichend vorzubereiten sondern eher ein familienpolitisches Versäumnis.

GesünderNet: Was müssten Ihrer Meinung nach Paare denn tun, um sich auf die Elternzeit vorzubereiten? Wann müsste eine solche Vorbereitung beginnen?

Micaela Peter: Im Grunde genommen wäre es günstig, sich bereits vor der Schwangerschaft über grundlegende Lebensentwürfe und Vorstellungen vom Familienleben Gedanken zu machen, denn unter Umständen ist man gar nicht mit dem Partner zusammen, mit dem sich die eigenen Vorstellungen und Sehnsüchte realisieren lassen. Wollen wir ein Kind oder mehrere? Bleibt einer länger zuhause oder arbeiten beide und das Kind wird von Dritten betreut? Will der eine nach Familiengründung aufs Land ziehen, der andere aber braucht die Stadt?

Wenn diese und weitere grundlegende Fragen geklärt sind, so ist es darüber hinaus wichtig, sich über die Erwartungen zu unterhalten, die man von seinem Partner in der Rolle eines Elternteils hat. Oft bestehen feste Vorstellungen darüber, ob eine Mutter unbedingt stillen sollte, der Vater selbstverständlich auch Elternzeit nehmen sollte, nur die Mutter ihre Karriere hinten anstellt, es eine klare Rollenverteilung gibt oder nicht. Auch Erziehungsziele können ein wichtiges Thema darstellen. Dazu gehört auch die Frage, welche Werte man jeweils seinem Kind gerne mit auf den Weg geben möchte und mit welchen Erziehungsmethoden man dies zu realisieren beabsichtigt. Auseinandersetzungen entstehen häufig darüber, ob oder in welcher Weise Kinder belohnt oder sanktioniert werden sollen, auf welche Weise sie in ihre Schranken gewiesen werden sollen oder ähnliches. Es empfiehlt sich, sich gegenseitig in liebevoller Atmosphäre von den eigenen Erfahrungen aus der Herkunftsfamilie zu berichten, darüber worunter man gelitten hat und was man nicht wiederholen möchte, und darüber, was einen genährt und erfreut hat und was man an seine Kinder gern weitergeben möchte. Auf diese Weise lernt sich das Paar auch noch mal näher kennen. Und anfangen kann man damit nicht früh genug.

GesünderNet: In einem Bericht auf „focus.de“ liest man, dass jede dritte Ehe sexlos ist, wenn das erste Kind geboren ist. Müsste man nicht emotional eigentlich in der Blüte aller Zuneigung und Liebe stehen? Warum verwandeln wir uns in dieser Zeit derart?

Micaela Peter: Eine der größten Belastungen in der Zeit nach der Geburt entsteht durch die Erschöpfung, die durch eine längere Zeit des ständig unterbrochenen Schlafs herrührt. Wenn wir müde und erschöpft sind, sehnt sich unser Körper nach Ruhe und Entspannung und nicht nach Aufregung und Abenteuer. Dies führt häufiger dazu, dass die Mütter, insbesondere in der Stillzeit, eher die Stunden des Schlafs zählen, als die Stunden, die sie mit ihrem Partner verbringen können. Hierüber wiederum sind viele Väter irritiert, insbesondere wenn sie selbst keine Nachtschichten übernehmen und die Erschöpfung der Mutter nicht nachvollziehen können. Doch nicht nur der mangelnde Schlaf, auch die rund um die Uhr standby Position ist anstrengend, denn vor der Geburt hat man sich um seine eigenen Bedürfnisse gekümmert und hat diese befriedigt, während man nun primär die Bedürfnisse eines abhängigen Wesens erfüllen muss und mit eigener Erholung und Entspannung in der Regel für eine längere Zeit pausieren muss. All dies hemmt die allgemeine Vitalität, also auch die Lust. Zudem schlafen viele kleine Kinder in den Elternschlafzimmern, so dass rein räumlich die Möglichkeiten für Intimität begrenzt sind.

GesünderNet: Weshalb ist Sex so wichtig für die Beziehung?

Micaela Peter: Sex ist in jeder Hinsicht gesund, nährend und förderlich. Sexuelle Erfüllung lässt uns aktiver und kraftvoller am Leben teilnehmen, schafft tiefe Befriedigung und große Nähe zueinander. Männer wie Frauen fühlen sich in der Regel selbstbewusster und attraktiver, wenn sie sexuell begehrt werden und regelmäßige Sexualität ausleben. Mit dem Sterben der Sexualität stirbt immer auch ein vitaler Teil in jedem Einzelnen und damit auch ein Stück der Vitalität und Zufriedenheit des Paares.

Eltern sollten sich unbedingt und so bald wie möglich wieder Einheiten von Zweisamkeit zurückerobern, qualitative Zeit miteinander verbringen, regelmäßig schöne und erholsame Dinge gemeinsam genießen und so die Vitalität der Beziehung steigern. Damit steigen die Möglichkeiten, sich wieder nah zu sein, Intimität miteinander zu erleben, den Partner jenseits seiner Rolle als Elternteil zu erfahren und ihn begehrlich und anziehend zu finden.

GesünderNet: Nun kann man sicherlich nicht auf jede Krise in der Elternzeit vorbereitet sein. Woran merke ich, dass es in meiner Beziehung kriselt? Und was können Paare an dieser Stelle tun, um Ihre Situation zu bewältigen?

Micaela Peter: Erste Anzeichen sind oftmals eine stärkere Reizbarkeit, zunehmende Auseinandersetzungen und weniger Austausch als zuvor. Wenn das Interesse an den Tätigkeiten des anderen nachlassen, das eigene Wohlbefinden im Vordergrund steht und Neid oder Missgunst gegenüber den Freiheiten oder der Freizeit des Partners entstehen, sollte man alarmiert sein. Meistens verändert sich der allgemeine Umgangston, der Respekt lässt etwas nach, die Häufigkeit von Kritik oder Vorwürfen nimmt zu.

Zumeist stehen hinter diesen Phänomenen unbefriedigte Bedürfnisse, z.B. nach Zweisamkeit, Austausch, Ruhe, Ungestörtheit durch das Kind. Oftmals fehlt das Gefühl der Anerkennung und Wertschätzung für die eigenen Leistungen, dies betrifft Mütter ebenso wie Väter. Es hat sich bewährt, einen festen Tag in der Woche als sogenannten „Quality-time-Abend“ bereitzuhalten und abwechselnd das Programm an diesem Abend zu bestimmen. Wenn außerhäusliche Aktivitäten nicht möglich sind, dann kann das Paar zuhause einen gemütlichen Abend (ohne Fernsehen) gestalten, beispielsweise alte Fotos ansehen, Lieblingsmusik hören, gemeinsam kochen oder baden.

Es kommt nicht darauf an, etwas besonders Ausgefallenes zu tun, sondern darauf, die gemeinsame Zeit als nah, warm und nährend zu erleben, gemeinsam Kraft und Energie zu tanken, Spaß und Leichtigkeit miteinander erleben, den Mann und die Frau wieder spüren. Nur wenn man gemeinsame Zeit gestaltet, kann Nähe, Intimität und Vertrauen erhalten bleiben.


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