Wie Glasscherben im Gelenk – Ursachen und Heilung von Gicht www.istockphoto.com/Jan-Otto

Wie Glasscherben im Gelenk – Ursachen und Heilung von Gicht

Plötzlich wird man nachts mit einem stechenden Schmerz im großen Zeh aus dem Schlaf gerissen, als würden sich 1.000 kleine Glasscherben in den Knochen bohren: So kann sich Gicht anfühlen. Daran schuld ist eine hohe Konzentration von Harnsäure im Blut. Wie Gicht entsteht und wie man die Erkrankung behandeln kann, darüber gibt Dr. Anne-Kathrin Tausche in unserem Interview Auskunft.

GesünderNet: Frau Dr. Tausche, Gicht kennt jeder. Die wenigsten wissen aber, was es damit auf sich hat. Was genau ist Gicht?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Gicht ist eine Erkrankung, bei der es durch Ablagerungen von Harnsäurekristallen in den Gelenken zu anfallsartigen Entzündungen kommt. Diese Kristalle können entstehen, wenn die Konzentration von Harnsäure im Blut über längere Zeit erhöht ist. Vergleichbar ist dieser Vorgang in etwa mit einem Tee, in dem sich zu viel Zucker befindet. Der Zucker kann sich in der gesättigten Flüssigkeit nicht mehr auflösen und bleibt in Form von Kristallen als Bodensatz liegen.

Meist lagern sich die Harnsäurekristalle zuerst im Grundgelenk des großen Zehs ab. Dort tritt dann auch häufig der erste Gichtanfall auf. Dieser erste Anfall, bei dem der Zeh ganz plötzlich heftig schmerzt und stark gerötet und geschwollen ist, ist so typisch, dass der Betroffene oft selbst direkt an Gicht denkt. Seltener sind andere Gelenke, wie z. B. Finger- oder Ellenbogengelenke vom ersten Anfall betroffen. Die Diagnose ist dann nicht ganz so einfach zu stellen.

Weitere Zeichen einer Gicht können zum Beispiel auch Nierensteine sein, die heftige anfallsartige Nierenkoliken verursachen. Ungefähr ein Fünftel der Patienten mit Gicht hat schon einmal solch eine Nierenkolik erlebt.

Wird die Gichterkrankung nicht als solche erkannt und durch harnsäuresenkende Maßnahmen behandelt, kann es zur Entwicklung einer chronischen Gicht kommen. Hiervon spricht man, wenn die Ablagerung von Harnsäurekristallen in mehreren Gelenken oder anderen Geweben, wie Weichteilen oder Sehnen, zu wiederholten entzündlichen Anfällen führt. Diese Anfälle über mehrere Jahre haben zur Folge, dass Gelenke zerstört werden, was letztlich auch in Röntgenuntersuchungen zu sehen ist.

GesünderNet: Warum treten Gichtanfälle vor allem nachts auf?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Während der Nachtstunden sind die Blutspiegel von  antientzündlich-wirkenden Hormonen wie Cortisol und anderer Botenstoffe natürlicherweise am niedrigsten.  In dieser Zeit erkennen Abwehrzellen des Immunsystems die als Fremdkörper wirkenden Harnsäurekristalle. Dies ist eine Erklärung dafür, dass Gichtanfälle häufig nachts und in den frühen Morgenstunden beginnen.

GesünderNet: Ein hoher Harnsäure-Spiegel im Blut zieht oft weitere Folge- und Begleiterkrankungen nach sich. Welche wären das?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Bei Menschen mit dauerhaft erhöhten Harnsäurespiegeln im Blut sind oft auch andere Stoffwechselerkrankungen, wie erhöhte Blutfettwerte, Übergewicht oder Bluthochdruck zu beobachten. Besteht eine solche Kombination eventuell noch mit zusätzlichem Diabetes mellitus, spricht man von einem metabolischen Syndrom. Ursachen für solche komplexen Veränderungen im Stoffwechsel sind zum einen genetische, aber auch sehr wesentlich ernährungsbedingte Faktoren. Im Rahmen eines metabolischen Syndroms besteht ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Bei der Gichterkrankung führen die wiederholten Entzündungen im Körper zusätzlich zu einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dies gilt im Übrigen auch für andere chronisch-entzündliche Erkrankungen, wie z.B. die Rheumatoide Arthritis.

Neuere Untersuchungen konnten zudem den Zusammenhang von hohen Harnsäurewerten und einer Verschlechterung der Nierenfunktion zeigen. Welcher genaue Zusammenhang zwischen Harnsäure und Gefäß- und Nierenfunktion besteht, wird derzeit verstärkt wissenschaftlich untersucht.

GesünderNet: Welche modernen Behandlungsmöglichkeiten gibt es, um den Harnsäure-Spiegel zu senken?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Hauptsächlich werden zwei Arzneimittelgruppen zur Senkung des Harnsäurespiegels eingesetzt: Urikosurika und Urikostatika. Erstere fördern die Ausscheidung der Harnsäure, während Urikostatika die Bildung von Harnsäure hemmen. Wegen einer einfacheren Handhabung, geringerer Nebenwirkungen und weniger Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, werden Urikostatika heute wesentlich häufiger verordnet.

GesünderNet: Wie lange muss ein harnsäuresenkendes Medikament eingenommen werden, um einen Behandlungserfolg zu erzielen?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Gleich, welche medikamentöse Therapie eingesetzt wird, ist es von besonderer Bedeutung, dass die Harnsäure im Blut ausreichend gesenkt wird. Nur so kann eine Auflösung der abgelagerten Harnsäurekristalle erreicht werden. Als ausreichende Senkung wird ein Harnsäurewert im Blut von < 360 µmol/l oder 6 mg/dl angesehen. Die Senkung unter diesen Zielwert muss langfristig, in der Regel über mehrere Jahre, oft auch lebenslang erfolgen.

Es ist wichtig zu wissen, dass es gerade zu Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie durch die plötzliche Absenkung der Harnsäure zu vermehrten Gichtanfällen kommen kann. Dies erschreckt die Patienten oft und führt nicht selten zu einem vorzeitigen Abbruch der begonnenen Therapie. In dieser Phase wird deshalb empfohlen, eine sogenannte „Gichtanfall-Prophylaxe" mit entzündungshemmenden Medikamenten, wie z.B. Ibuprofen, Diclofenac und Indomethazin oder niedrig-dosiertem Colchizin durchzuführen. Diese Phase dauert oft einige Wochen an, die meisten Betroffenen haben aber nach einem halben Jahr keine Gichtanfälle mehr. Voraussetzung ist in jedem Fall die konstante Senkung der Harnsäure im Blut unter den Zielwert.

GesünderNet: Eignet sich eine harnsäuresenkende Therapie für alle Gichtpatienten oder gibt es Einschränkungen?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Die Mehrzahl der Patienten mit Gicht kann wie beschrieben unproblematisch eine medikamentöse Behandlung durchführen. Die Therapie erfolgt in der Regel durch den Hausarzt, der auch regelmäßig die Harnsäurewerte im Blut kontrolliert.

In den seltenen Fällen einer schweren chronischen Gichterkrankung, wie z.B. bei einer tophösen Gicht, bei der es zu Ablagerungen von Harnsäurekristallen in anderen Geweben gekommen ist, kann eine Mitbetreuung durch einen Rheumatologen und/oder Nephrologen erforderlich werden. Ähnliches gilt für andere komplizierte Erkrankungen, wie z.B. eine Niereninsuffizienz.

GesünderNet: Wird die medikamentöse Gichtbehandlung von der Krankenkasse gezahlt?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Ja, alle diese Therapien werden von den Krankenkassen übernommen.

GesünderNet: Wie kann man Gicht vorbeugen?

Dr. Anne-Kathrin Tausche: Grundsätzlich kann man sagen, dass eine gesunde Lebensweise - ausgewogene Ernährung mit Einschränkung des Alkoholkonsums sowie Bewegung und Verhinderung eines Übergewichtes - hilft, das Gicht-Risiko zu verringern. Da jedoch genetische Faktoren eine große Rolle bei der Gichtentwicklung spielen, kann man oft nur bedingt vorbeugen. Hinweis für eine genetische Veranlagung zur Gicht können andere Verwandte ersten Grades mit Gicht sein. Außerdem können hohe Harnsäurewerte im Blut bereits in jüngeren Jahren einen Hinweis auf einen genetisch bedingten Defekt der Harnsäuretransport-Proteine in der Niere geben. Diätmaßnahmen reichen in diesen Fällen meist nicht aus, um die Harnsäure im Blut ausreichend zu senken. Eine medikamentöse Therapie wird dann nach einem Gichtanfall in der Regel erforderlich.

 

Unsere Expertin: Dr. Anne-Kathrin Tausche
dr. tausche
Ärztin in der Abteilung für Rheumatologie des Universitätsklinikums Dresden,

Fachärztin für Dermatologie