Jetzt kommt wieder die dunkle Jahreszeit. Die Tage werden immer kürzer, draußen ist es nass und kalt. Viele Menschen leiden in dieser Zeit an Schwermütigkeit und gedrückter Stimmung. Doch was passiert, wenn dieses Gefühl nicht vorrübergeht?
„Depression“ ist im Sprachgebrauch ein gängiges Wort. Man benutzt es, um eine negative Stimmung oder eine schwere Zeit, die man gerade durchmacht, zu beschreiben. Was jedoch die Krankheit „Depression“ ist und was sie für den Betroffenen und seine Angehörigen bedeutet, wollen wir an dieser Stelle mit Professor Doktor Beckmann, Psychologe an der TU München, klären.
gesündernet: Professor Dr. Beckmann, was genau ist eine Depression?
Prof. Dr. Beckmann: Eine Depression geht über normalen Kummer oder normales Trauern hinaus. Sie stellt sich dar als erlebnisreaktive Anpassungsstörung oder als majore Depression mit massiven Schuldvorstellungen. Hauptsymptome sind: gedrückte Stimmung, Interessen- und Freudlosigkeit mit starken Schuldgefühlen und Antriebsstörungen.
gesündernet: Welche Ursachen kann sie haben?
Prof. Dr. Beckmann: Eine genetische Prädisposition liegt zu 41 Prozent vor. Ob die Depression zum Ausbruch kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Unangemessen kognitive Bewertungsmuster scheinen eine wichtige Rolle zu spielen: Die Patienten erleben sich als Versager (gelernte Hilflosigkeit), übertreiben kleine Fehler und sehen sehr pessimistisch in die Zukunft. Sie neigen zum Grübeln (sog. Lageorientierung kann eine ungünstige Bedingung sein). Die eigene Person wird in ihren Fähigkeiten allgemein als negativ eingestuft. Entsprechend gehen mit Depression oft Ängste einher. Burnout und Erschöpfungszustände bahnen der Depression oft den Weg. Im Gehirn gibt es eine Störung im Bereich der Botenstoffe (Neurotransmitter und –modulatoren, vor allem Serotonin und Noradrenalin).
gesündernet: Warum können Erfolge und wirtschaftlicher Wohlstand (etc.) eine Depression nicht aufheben bzw. heilen?
Prof. Dr. Beckmann: Aufgrund der ungünstigen Interpretationsmuster haben Erfolge beim Depressiven keine nachhaltig positive Wirkung. Je länger die Depression anhält und je tiefer der Depressive in sie hineingerät, umso weniger wird er überhaupt noch Emotionen erleben.
gesündernet: Zu beobachten ist, dass viele Depressive anfällig für Selbstmord sind, ist dies für sie eine „logische Konsequenz“? Warum?
Prof. Dr. Beckmann: Logische Konsequenz kann man nicht sagen. Aber je tiefer sich ein Mensch in die Depression hinein bewegt, umso negativer seine Selbstbewertung ausfällt, umso weniger wertvoll er sich und je weniger sinnhaft er sein Leben erlebt, umso wahrscheinlicher wird der Selbstmord. Ca. 15 Prozent aller Depressiver bringen sich um.
gesündernet: Warum kann die Familie und eine bestehende Verantwortung einen depressiven Menschen nicht von dem radikalen Entschluss, sich das Leben zu nehmen, abhalten?
Prof. Dr. Beckmann: Je weiter die Depression voranschreitet, umso weniger können andere Menschen den Depressiven erreichen. Grundsätzlich ist es aber bei einer Reihe von Depressiven immerhin möglich, einen Pakt mit ihnen zu schließen (z.B. hinsichtlich ihrer Verantwortung für Partner oder Kinder), der helfen kann, sie von einem Selbstmord abzuhalten.
gesündernet: Wie erkennt man eine Depression bei sich? Wie bei anderen?
Prof. Dr. Beckmann: Ein Zeichen, dass man an sich selbst beobachten kann, ist eine länger anhaltende Traurigkeit, die zunehmend von Verlust an Interesse begleitet wird. Es stellt sich auch zunehmend ein Gefühl der Leere ein. Bei anderen kann man auch den Verlust an Interessen beobachten, dass sie sich nicht mehr freuen können, dass ihr Gesicht keine emotionalen Regungen mehr zeigt. Unklare körperliche Symptome (Schwindel, Kopfschmerz, Kloßgefühl im Hals, undefinierte Schmerzen in der Brust) können in Kombination mit den anderen Merkmalen ebenfalls ein Hinweis sein.
gesündernet: Warum wird diese Krankheit so oft unterschätzt? Warum kommt bei Vielen die Hilfe zu spät?
Prof. Dr. Beckmann: Zwar hat die Depression als Krankheit in der Öffentlichkeit mittlerweile mehr Akzeptanz gefunden, aber Menschen versuchen immer noch zu verbergen, dass sie an einer psychischen Erkrankung leiden. Zum Teil werden dann die körperlichen Beschwerden in den Vordergrund gestellt. Damit wird das eigentliche Leiden maskiert.
gesündernet: Wie muss man mit einer Depression umgehen, was kann man für sich tun. Was kann man für den anderen tun?
Prof. Dr. Beckmann: Es ist dringend anzuraten, möglichst frühzeitig einen Experten (Arzt für Psychiatrie, Psychotherapeuten) aufzusuchen. Eine Depression lässt sich heutzutage sehr gut heilen. Allerdings muss sie konsequent und eben möglichst frühzeitig durchgeführt werden. Die Therapie wird aus (richtig – nicht zu niedrig dosierten) Antidepressiva (möglichst Serotonin oder Noradrenalin Wiederaufnahme-Hemmer) und einer Psychotherapie bestehen. Diese sollte auch lang genug fortgeführt werden, um einen Rückfall zu vermeiden, der dann alles verschlimmern würde. Anderen kann man helfen, sich auf diesen Weg zu begeben und deutlich machen, dass Depression ein ernst zu nehmendes aber heilbares Leiden ist, das man nicht verbergen muss.
gesündernet: Was ist Angehörigen anzuraten, die durch Suizid ein Familienmitglied bzw. einen Freund verloren haben? Sind solche Menschen automatisch auch potentiell depressionsgefährdet?
Prof. Dr. Beckmann: Potentiell besteht natürlich eine gewisse Gefahr. Schließlich ist der Tod eines geliebten Menschen ein traumatisierendes Ereignis. Wie die Verarbeitung verläuft, ist natürlich sehr stark von der Persönlichkeit und der genetischen Prädisposition des Betroffenen abhängig. Falsch wäre es jedenfalls zu versuchen, die Situation ganz allein bewältigen zu wollen. Es ist sehr ratsam, Menschen um sich zuhaben, die einem helfen und Trost spenden. Ein guter Freund kann hier schon ausreichen. Allerdings sollte man gut beobachten, in welche Richtung sich die Verfassung des Betroffenen entwickelt und bei einer eintretenden Depression so früh wie möglich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
gesündernet: Prof. Dr. Beckmann, vielen Danke für Ihre Zeit und das aufschlussreiche Interview.
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Prof. Beckmann erklärt, was eine Depression ist, wie man sie behandelt und welche Auswirkungen die Krankheit auf den Menschen haben kann.