„Mit dem Gewebe im Dialog“ – Osteopathie gegen Blasenschwäche thinkstockphotos.de

„Mit dem Gewebe im Dialog“ – Osteopathie gegen Blasenschwäche

Blaseninkontinenz auf den Grund gehen und die Ursachen langfristig beheben – Wir haben mit der Vorsitzenden des Verbandes der Osteopathen Deutschland (VOD) Professor Marina Fuhrmann über die Möglichkeiten und Grenzen der Osteopathie bei der Behandlung von Blasenschwäche gesprochen.
Blasenschwäche beeinträchtigt den Alltag vieler Menschen. Sie ist ein unleidiges und oft langwieriges Thema. Denn die Frage nach den Ursachen von Blasenschwäche stellt Betroffene sowie Ärzte häufig vor ein großes Rätsel. Nicht immer ist Blaseninkontinenz einem zu schwachen Beckenboden zuzuschreiben. Oft sind die Zusammenhänge im Körper viel komplexer.

Die Osteopathie, als ein mögliches konservatives Behandlungsverfahren von Blasenschwäche, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Rätsel zu entschlüsseln und somit den Ursachen der Blasenschwäche gezielt entgegenzuwirken.

Mögliche Ursachen von Blasenschwäche aus osteopathischer Sicht

Jedes Körperteil und Organ benötigt Bewegungsfreiheit, um zu funktionieren. So auch die Blase. Ist deren Beweglichkeit eingeschränkt, entstehen zunächst Gewebespannungen. Aus diesen wiederum können funktionelle Störungen des Organs resultieren. Professor Marina Fuhrmann, Vorsitzende des Verbandes der Osteopathen Deutschland, erklärt: „Die feinen Faszienstrukturen, die sich im Becken ausspannen, gewährleisten einerseits die Beweglichkeit der Beckenbodenorgane, können diese andererseits aber auch behindern. Der Fokus der Osteopathie liegt nun darauf, das Gleichgewicht der verschiedenen Organe zueinander sowie von Muskeln, Bändern und Gelenken wieder aufeinander abzustimmen und damit die ursprüngliche freie Beweglichkeit und Elastizität des Beckenbodens wiederherzustellen.“

Prof. Marina Fuhrmann, ©Verband der Osteopathen Deutschland (VOD) e.V.Spannungen und Verklebungen des Gewebes, die aus osteopathischer Sicht schließlich die Funktionsweise der Blase beeinträchtigen, können laut Professor Fuhrmann durch viele verschiedene Faktoren bedingt sein: „Vor allem Schwangerschaften und Geburten setzen dem Unterleib stark zu, aber auch Operationen im Bauchraum können durch die damit einhergehende Narbenbildung zu Funktionsstörungen der Blase führen. Dem gegenüber stehen altersbedingte Veränderungen des Gewebes und der Strukturen im Unterleib, die eine Blasenschwäche begünstigen können.“

Inkontinenz müsse jedoch nicht zwangsläufig unmittelbar nach einer Schwangerschaft oder einer Operation in Erscheinung treten. Oft setzen die Beschwerden erst ein halbes oder zwei Jahre später ein, ohne dass die Betroffene ihre Blasenschwäche damit noch in Verbindung bringen würde, betont die Osteopathin.

„Hören Sie als Patient auf die Signale Ihres Körpers“

Eine gründliche Anamnese sei daher das A und O einer erfolgreichen osteopathischen Behandlung. Gibt es andere, vorhergehende Erkrankungen? Wurden bei der betroffenen Person bereits Operationen durchgeführt, insbesondere im Bereich des Unterleibes? Sind Traumata vorhanden, wie beispielsweise ein Sturz auf das Steißbein? Wie oft und in welchen Situationen tritt unwillkürlicher Urinverlust auf? – All diese spezifischen Informationen führen den Osteopathen langsam zum Kern des Problems. „Jede den Körper betreffende Information ist hierbei wichtig. Je mehr ein Osteopath über seinen Patienten weiß, ein umso besseres Bild kann er sich von ihm und seinem Leiden machen. Folgen Sie als Patient daher Ihrem inneren Empfinden. Achten Sie darauf, aus welchen Regionen Ihres Körpers Sie Signale bekommen und teilen Sie diese dem Osteopathen mit“, rät Fuhrmann.

Nicht immer ist Osteopathie bei Blasenschwäche sinnvoll

Erst wenn der Osteopath ermittelt hat, welche Form von Blasenschwäche vorliegt, lasse sich entscheiden, ob eine osteopathische Behandlung überhaupt sinnvoll ist. Denn auch die Osteopathie stößt an ihre Grenzen. „Ein kompetenter Osteopath muss in der Lage sein, zu erkennen, ob er seiner Patientin mit den osteopathischen Möglichkeiten optimal helfen kann oder ob es aus medizinischer Sicht einer anderen Untersuchungs- und Behandlungsform bedarf. In manchen Fällen, zum Beispiel bei einer starken Absenkung des gesamten Beckenbodens, hilft nur ein chirurgischer Eingriff. Nach der operativen Korrektur des Beckenbodens, kann die Osteopathie wiederum sehr hilfreich sein“, erläutert die Professorin. Insbesondere bei Entzündungen, offenen Wunden und bei Verdacht auf Krebs sei von einer osteopathischen Behandlung allerdings dringend abzuraten.

Die Osteopathie setzt bei Blasenschwäche auf eine ganzheitliche Betrachtung des Körpers

Die an die Anamnese anschließende Untersuchung bringt noch etwas mehr Licht ins Dunkel. Hier gelte es nicht nur, den Blick auf den Beckenboden zu richten. Im Gegenteil: „Um die genaue Ursache der Blasenschwäche herauszufinden, müssen wir jedes Mal die anatomischen und physiologischen Hintergründe des gesamten Körpers betrachten, vom Zwerchfell bis zu den Extremitäten. Zwar widmen wir unsere Aufmerksamkeit insbesondere dem Bereich des Beckens und der Wirbelsäule, doch auch der Komplex der unteren Extremitäten, also Beine und Hüfte, kann sich auf die Funktion der Blase auswirken. Vom Knie ausgehend verlaufen kontinuierliche Bindegewebszüge über den Oberschenkel bis ins Becken hinein. Diese können den Beckenboden in eine Richtung ziehen und somit einseitig stören. Blasenschwäche kann daher im weiteren Sinne zum Beispiel auch die Folge einer Meniskusoperation sein. Im Dialog mit dem Gewebe versuchen wir dies herauszufinden“, veranschaulicht Professor Fuhrmann.

Ablauf einer osteopathischen Behandlung von Blasenschwäche

Nachdem alle Ergebnisse zusammengetragen worden sind, kann der Osteopath eine adäquate Herangehensweise festlegen, mit dem Ziel, das verlorengegangene Gleichgewicht und die Elastizität der Gewebestrukturen und somit die Funktionalität der Blase wiederherzustellen. Dies geschieht ausschließlich mit den Händen durch sogenanntes Palpieren, das Erspüren der Gewebeschichten.

„In der Regel sehe ich meinen Patienten nach vierzehn Tagen dann das zweite Mal, da der Körper auf die osteopathische Behandlung zwei bis drei Wochen lang reagieren kann“, erzählt Fuhrmann. „Je nachdem welche Veränderungen, Verbesserungen oder Verschlechterungen, sich durch die Behandlung eingestellt haben, erfolgt ein neuer Befund und eine erneute Behandlung. Konnte ich die Beschwerden damit bereits etwas lindern, reicht es, den nächsten Termin in einem Abstand von vier Wochen anzusetzen. Jede Therapiesitzung wird individuell auf den Patienten abgestimmt.“ Insgesamt vier Sitzungen reichen laut Fuhrmann im Normalfall aus, um eine Verbesserung der Blasenprobleme zu erzielen.

Da es in Deutschland für das Berufsbild Osteopathie bislang noch keine gesetzliche Regulierung gibt, fällt es Patienten oft schwer zu erkennen, ob ein Osteopath überhaupt erforderliche Kompetenzen aufweist. Um Betroffenen bei der Wahl Ihres Behandlers unter die Arme zu greifen, hat der Verband der Osteopathen eine Therapeutenliste  auf seiner Webseite veröffentlicht. Auf dieser sind langjährig ausgebildete Verbandsmitglieder aufgelistet, die über entsprechende Kompetenzen und Osteopathie-Standards verfügen. „Das ist sicherlich noch nicht ausreichend, gibt aber zumindest eine gewisse Sicherheit“, sagt Fuhrmann.

 

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