Dr. Detlef Schulz - Praxis Zahnheilkunst; pixabay.com
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Auf den Zahn gefühlt - Teil 2

Was wirklich gegen Zahnarztangst hilft – Dr. Schulz klärt auf

Für viele ist der Zahnarztbesuch mit Stress oder sogar Panik verbunden. Zahnarztangst gehört zu den häufigsten medizinischen Ängsten – oft tief verwurzelt, meist tabuisiert. Für Dr. Detlef Schulz, Zahnarzt der Praxis Zahnheilkunst in Essen, ist dieses Thema mehr als beruflicher Alltag: Es ist eine persönliche Geschichte. Im Interview erklärt er, warum Empathie und Zeit essenzielle Bestandteile moderner Zahnmedizin sind, wie Vertrauen entsteht – und weshalb er den Begriff „Mundgesundheitscoach“ ganz bewusst verwendet.

Welche Bedeutung hat das Thema Zahnarztangst für Sie – persönlich und beruflich?

Dr. Detlef Schulz: Zahnarztangst ist für mich kein theoretisches Konzept, sondern Teil meiner eigenen Biografie. Als Kind habe ich massive Angst erlebt – obwohl, oder vielleicht gerade weil, mein Vater Zahnarzt war. In den 60er-Jahren gehörten Einfühlungsvermögen und Betäubung nicht zum Standard. Ich erinnere mich an Behandlungen ohne Anästhesie, an Kontrollverlust, an panische Schreie. Auch Erfahrungen mit Chloroform und Narkosemitteln haben sich tief eingebrannt. Diese Angst hat mich lange begleitet. Ich habe Zahnarztbesuche so gut es ging vermieden. Erst beim Stabsarzt der Bundeswehr kam ein Wendepunkt – ein empathischer Mensch, der mir Vertrauen zurückgegeben hat. Im Studium wurde dann weiter daran gearbeitet – nicht nur fachlich, sondern menschlich. Ich habe mich langsam aus der Angst herausbewegt. Ich stamme aus einer Zahnarztfamilie in vierter Generation – aber ich bin nicht einfach hineingewachsen, sondern habe meinen Weg selbst finden müssen. Ich hatte nicht nur Angst vor dem Zahnarztstuhl, sondern auch vor Sichtbarkeit, Bewertung, sogar vor dem Sprechen. Rückblickend war das alles ein Geschenk. Es hat mich sensibel gemacht für andere – und auch für mich selbst. Heute ist genau das mein Schlüssel: Ich weiß, wie sich Angst anfühlt – im Körper, im Kopf, im Herz. Deshalb begegnen wir unseren Patient:innen nicht mit Druck, sondern mit Verständnis. Wir sagen: Die Angst darf da sein – aber sie muss nicht bleiben. Und manchmal entsteht Mut einfach im nächsten Schritt.

Dr. Detlev Schulz - Praxis Zahnheilkunst
Dr. Detlev Schulz – Praxis Zahnheilkunst

Nähe, Ausgeliefertsein, Kontrollverlust – warum Zahnarztangst tiefer liegt

Wieso ist Zahnarztangst so weit verbreitet? Welche Rolle spielt die Kindheit?

Dr. Detlef Schulz: Die Kindheit spielt eine große Rolle – das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Aber spannend ist: Heute sehen wir eine neue Generation, die oft keine Karies mehr kennt. 90 Prozent der 20-Jährigen haben noch nie gebohrt bekommen – das ist ein Erfolg von Prophylaxe und elterlicher Fürsorge. Viele Eltern haben eigene schlechte Erfahrungen gemacht und wollen es besser machen. Und sie tun es auch. Trotzdem bleibt die Angst – nur liegt sie heute oft nicht mehr an den Zähnen. Es geht um etwas Tieferes. Zahnärzt:innen arbeiten in der Intimsphäre – nah, bei vollem Bewusstsein des Patienten. Diese Nähe löst unbewusst Abwehr aus. Man liegt auf dem Rücken, schaut an die Decke, hat keinen Bodenkontakt. Das ist instinktiv eine Position der Ergebung – man ist ausgeliefert, weiß nicht, was passiert. Diese Art von Unbehagen ist nicht neurotisch, sondern zutiefst menschlich. Deshalb ist unsere wichtigste Aufgabe: Vertrauen schaffen. Und zwar nicht nur technisch, sondern menschlich.

Gibt es Unterschiede im Angstverhalten zwischen Altersgruppen oder Geschlechtern?

Dr. Detlef Schulz: Heute verlaufen die Unterschiede weniger entlang der Geschlechter – sondern zwischen den Generationen. Menschen ab 40 oder 50 bringen oft einen ganzen Rucksack voller Zahnerfahrungen mit: unangenehme Behandlungen, Schmerzen, Ohnmacht. Das wirkt weiter, oft unbewusst. Die Jüngeren – sagen wir unter 30 – erleben etwas ganz anderes: Aufklärung, Vorsorge, gute Kindheitserfahrungen. Das verändert den Zugang zur Zahnmedizin. Wenn man doch nach Geschlecht differenziert, sehe ich gewisse Muster: Frauen sind oft feinfühliger, reflektierter im Umgang mit ihrem Körper. Sie gehen früher zur Vorsorge, äußern ihre Ängste offener. Männer dagegen neigen zum Verdrängen – „Wird schon nicht so schlimm sein“. Und wenn sie dann kommen, ist das Problem oft fortgeschritten. Aber am Ende sagt die persönliche Geschichte mehr über das Angstverhalten aus als Alter oder Geschlecht. Deshalb ist individuelle Zuwendung so wichtig.

Welche Rolle spielen Zeit und Empathie bei der Behandlung von Angstpatient:innen?

Dr. Detlef Schulz: Zeit und Empathie sind zwei der knappsten Ressourcen – und gleichzeitig die wichtigsten. Für mich bedeutet Empathie: den Menschen wirklich zu sehen. Ihn dort abzuholen, wo er steht – emotional, biografisch, kognitiv. Das ist keine Technik, das ist Haltung. Und diese Haltung wächst durch persönliche Arbeit. Aber genau diese Zeit wird im System nicht honoriert. Ein ausführliches Gespräch mit 30 Minuten ist mit 20 bis 30 Euro bewertet – ob privat oder gesetzlich. Das ist nicht nur wirtschaftlich schwierig, sondern menschlich absurd. Dabei passiert in genau dieser Zeit die eigentliche Veränderung. Vertrauen entsteht nicht auf dem Stuhl, sondern davor – im Zuhören, im Ernstnehmen. Und Angst beginnt zu weichen, wenn der Mensch merkt: „Ich werde nicht bewertet – ich werde gesehen.“

Wie bauen Sie Vertrauen auf – gerade bei Patient:innen mit Angst?

Dr. Detlef Schulz: Vertrauen beginnt bei einem selbst. Ich muss mir selbst vertrauen – sonst wird es niemand anderes tun. Dafür braucht es Klarheit über die eigene Motivation: Warum mache ich diesen Beruf? Was treibt mich an? Wer das nicht weiß, wird irgendwann fremdgesteuert. Der Patient spürt, ob ich „bei mir bin“ – oder einfach funktioniere. Und dieses Vertrauen entsteht nicht durch Worte, sondern durch Haltung. Der Mensch, der behandelt, ist immer Teil der Behandlung. Wir versuchen, auch im Praxisumfeld Brücken zu bauen – mit persönlichen Dingen, mit Geschichten, mit Offenheit. Vertrauen ist keine Methode – es ist eine Entscheidung. Jeden Tag neu.

„Zahnärzt:innen sind Coaches für Lebensqualität“

Welche Strategien nutzen Sie im Umgang mit Angstpatienten? Welche Rolle spielen Lachgas, Sedierung oder Narkose?

Dr. Detlef Schulz: Ich würde weniger von Strategie sprechen – eher von gelebter Haltung. Die erste Begegnung findet bei uns nicht auf dem Behandlungsstuhl statt, sondern im Gespräch. Am Tisch. Auf Augenhöhe. Nicht mit Becher in der Hand und Lampe im Gesicht. Das ist sonst keine Begrüßung, sondern ein Test. Was Sedierung oder Narkose betrifft: Das kann in bestimmten Fällen sinnvoll sein – etwa bei chirurgischen Eingriffen oder schweren Traumata. Aber man muss ehrlich sagen: Wer sich unter Narkose behandeln lässt, umgeht auch ein Stück Entwicklung. Die Angst wird umgangen – nicht bearbeitet. Viele kommen danach nicht mehr zur Prophylaxe. Lachgas ist sanft und hilfreich – aber die Maske liegt oft genau dort, wo wir arbeiten müssen. Das ist in der Praxis manchmal einfach unpraktisch. Kurz gesagt: Technik kann unterstützen – aber die Haltung bleibt entscheidend.

Zahnarztangst

Was müsste sich ändern, damit Zahnarztangst langfristig abnimmt?

Dr. Detlef Schulz: Vielleicht muss man die Frage umdrehen: Warum ändern Menschen ihr Verhalten nicht – obwohl sie könnten? Weil Gewohnheit bequem ist. Viele übernehmen früh ein bestimmtes Putzverhalten – und behalten es ein Leben lang. Das zu verändern, kostet Energie. Es geht also nicht nur um Zahnpflege – sondern um Motivation, Selbstwirksamkeit, inneren Antrieb. Manchmal reicht ein kleiner Impuls: ein Aufkleber am Spiegel, ein neues Vorbild, ein Schreckmoment. Die gute Nachricht: Prävention wirkt. Die Kariesraten sinken, Parodontitis wird früher erkannt. Aber: Zähne haben keine Frühwarnsysteme – viele Probleme entwickeln sich über Jahre. Und genau deshalb ist bewusste Begleitung so wichtig.

Was wünschen Sie sich für die öffentliche Wahrnehmung von Zahnarztbesuchen?

Dr. Detlef Schulz: Heute heißt es oft: „Oh je, du musst zum Zahnarzt?“ Das Bild ist tief eingeprägt – über Jahrhunderte. Zahnmedizin war lange verbunden mit Schmerz, Angst, Verlust. Ich finde: Es ist Zeit, dieses Bild zu verändern. Ich spreche bewusst vom „Mundgesundheitscoach“. Der Mensch hat 28 Zähne – eine Mannschaft. Und wir sind nicht die Chefs, sondern Trainer:innen. Unsere Aufgabe ist, zu begleiten, zu befähigen, zu bestärken. Zahnmedizin ist heute reifer, verantwortungsvoller, menschlicher. Ich wünsche mir, dass wir das auch zeigen – und leben. Vielleicht bewirkt dieser Artikel ja einen kleinen Impuls.

Lesen Sie hier den ersten Teil der Reihe auf den Zahn gefühlt: „Zähne sind ein Geschenk“ – Wie Dr. Detlef Schulz Zahnmedizin neu denkt

Über Dr. Detlef Schulz – Gründer der Praxis Zahnheilkunst in Essen

Dr. med. dent. Detlef Schulz führt in vierter Generation die zahnärztliche Familientradition fort und steht für einen ganzheitlichen, menschlich geprägten Ansatz in der Zahnmedizin. Nach dem Studium in Münster absolvierte er seine Assistenzzeit in einer stark frequentierten Praxis im Münsterland, wo er das zahnärztliche Handwerk von Grund auf lernte. Anschließend war er an der Universität Witten/Herdecke in der Abteilung für Prävention und Parodontologie als Assistenzzahnarzt in Forschung und Lehre tätig.

1994 gründete er seine eigene Praxis in Essen. Mit „Zahnheilkunst“ verfolgt er das Ziel, moderne Zahnmedizin mit Empathie, Zeit und individueller Begleitung zu verbinden – besonders auch für Angstpatient:innen. Dabei versteht er Zahnmedizin nicht nur als Reparatur, sondern als Weg zu echter Mundgesundheit und Lebensqualität.

Neben seiner Praxistätigkeit engagiert sich Dr. Schulz als Autor, Podcastgast, Referent und Coach für Persönlichkeitsentwicklung. Seine Arbeit ist geprägt von Kreativität, Leidenschaft und der Überzeugung, dass gute Zahnmedizin beim Menschen beginnt – nicht nur im Mund.

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