Klicken bis das Hirn brennt – Interview mit Computersucht-Experte Dr. Aalderink istockphoto.com/Dimitris66Dimitris66

Klicken bis das Hirn brennt – Interview mit Computersucht-Experte Dr. Aalderink

Die virtuelle Welt ist für Viele eine willkommene Option, um vor dem Alltag zu entfliehen. Leider entwickelt sich bei einigen Dauernutzern eine regelrechte Internet-Sucht. Wie gefährlich dies sein kann und welche Hilfsmöglichkeiten es gibt, erzählt Dr. Tim Aalderink, Psychologe der Schön Klinik in Bad Bramstedt.

Vielleicht kennen einige das berühmte YouTube-Video, in dem ein leicht übergewichtiger, schwitzender Junge wild auf die Tastatur einschlägt und flucht, weil sein Computer einen Befehl nicht ausführt. Ungeduldig drückt er eine Taste, die unter seinem Finger knarrt und ächzt. Dann die Erlösung, der Befehl wird durchgeführt. Der Junge lacht hämisch, ihm steht der Wahnsinn in den Augen…

GesünderNet: Dr. Aalderink, Sie sind leitender Psychologe in der Schön Klinik Bad Bramstedt und verantwortlich für die Computersucht-Station. Was versteht man unter Computersucht?

Dr. Tim Aalderink: Eine „offizielle“ Definition in Forschung und Medizin gibt es noch nicht. Dazu ist das Forschungsfeld der Computersucht beziehungsweise des pathologischen Computer-Gebrauchs noch zu jung. Die Einen ordnen das Störungsbild eher den Zwangsspektrumsstörungen, die anderen eher den Abhängigkeitserkrankungen zu. Bei uns spricht man im Allgemeinen dann vom pathologischen, also krankhaften Computer-Gebrauch, wenn Patienten ihren Computer so exzessiv nutzen, dass sie die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren und relevante negative Folgen psychischer, körperlicher oder sozialer Art vorliegen.

GesünderNet: Wie entsteht eine Computersucht?

Dr. Tim Aalderink: Die Ursachen, die zum pathologischen Computer-Gebrauch führen, können individuell sehr verschieden sein. Häufige Auslöser sind Schwierigkeiten im alltäglichen persönlichen Umfeld. Auch psychische Probleme wie Selbstwertdefizite, soziale Ängste oder Depressionen können einer exzessiven Computer-Nutzung zugrunde liegen. Wenn die Betroffenen keine Lösungsstrategien für solcher Art Probleme entwickeln können und sie zugleich eine besondere Vorliebe für Onlineaktivitäten, Internetspiele oder Ähnlichem haben, besteht die Gefahr der Flucht in die virtuelle Welt. Denn dort herrschen andere Regeln, der User kann in andere Rollen schlüpfen und erlebt gleichzeitig oft eine kurzfristig sehr positive emotionale Stimulanz, die ihm im normalen Alltag verwehrt ist. Daraus kann eine Art Teufelskreis entstehen, so dass sich die vermehrte Computer-Nutzung und die Probleme in der realen Welt gegenseitig verstärken. Schließlich können auch Züge von Suchtverhalten auftreten. Das alles geschieht zumeist in einem kontinuierlichen Prozess und beginnt in der Regel als unbewusster Rückzug.

GesünderNet: Die Computersucht wird sofort mit Jugendlichen in Verbindung gebracht. Hat sich diese Annahme bewahrheitet? Was macht Jugendliche besonders anfällig?

Dr. Tim Aalderink: Untersuchungen zeigen, dass die Gruppe der 14- bis 16-Jährigen in der Tat besonders häufig vom pathologischen Computer-Gebrauch betroffen sind. Für Jugendliche sind Computer und Co. heute ganz selbstverständliche Begleiter im Alltag. Die Nutzung ist zumeist sinnvoll und bietet vielfältige Möglichkeiten zur Zerstreuung. Noch stärker als bei Erwachsenen sind PCs und Smartphones für Jugendliche nicht mehr nur Arbeitsgeräte, sondern eine Freizeitbeschäftigung, die intensive emotionale Erlebnisse positiver Art ermöglicht. Durch den alltäglichen Umgang ist der Computer dabei auch eine naheliegende Möglichkeit, sich von Problemen abzulenken. Zudem ist die Jugendzeit eine Entwicklungsphase, die mit starken Veränderungen einhergeht und erhebliche Anpassungsleistungen von den Jungendlichen erfordert. Auch zu einer völlig normalen Entwicklung gehören in dieser Zeit Probleme und Krisen. Die Gefahr, eine Computer- oder Internetsucht zu entwickeln, besteht insbesondere bei denjenigen Jugendlichen, die während des Heranwachsens wenig Problemlösungskompetenzen erwerben konnten oder die in Krisen keine Unterstützung durch ihr Umfeld erfahren. Dann kann es sein, dass die vorhandenen Probleme die verfügbaren Lösungsmöglichkeiten der Betroffenen übersteigen und es zu einer zunehmenden Flucht in die virtuelle Welt kommt. Prinzipiell kann eine solche Entwicklung aber prinzipiell in jedem Lebensabschnitt auftreten.

GesünderNet: Es gibt immer wieder die große Diskussion, ob gewalttätige Computerspiele auch zu aggressivem Verhalten führen. Was sagt Ihre Erfahrung?

Dr. Tim Aalderink: Unsere Erfahrungen decken sich weitgehend mit den wissenschaftlichen Ergebnissen zu dieser Thematik. Viele unserer Patienten, die relativ viel Zeit mit gewalttätigen Computerspielen verbringen, zeigen keine erhöhte Gewaltbereitschaft im realen Leben. Allerdings haben sich bislang alle mir bekannten Patienten mit einer Nähe zu massiven Gewalttaten im Sinne von sogenannten Amokläufen auch intensiv mit gewalttätigen Computerspielen beschäftigt. Zudem scheinen gewalttätige Computerspiele bei Betroffenen mit einer aus verschiedenen Gründen ohnehin vorhandenen Neigung zu Gewaltdelikten die Hemmschwelle zur realen Gewalttätigkeit weiter abzusenken. Für die Masse der Computerspieler gilt aus unserer Erfahrung jedoch, dass sie sich nicht aggressiver verhalten als Nicht-Spieler.

GesünderNet: Gibt es geeignete Präventionsmaßnahmen, um sich (oder andere) bestmöglich vor einer Computerabhängigkeit zu schützen?

Dr. Tim Aalderink: Alles, was den genannten Risikofaktoren entgegen wirkt, kann präventiv helfen. Dazu zählt ein intaktes soziales Netzwerk in der realen Welt, also beispielsweise Freunde, mit denen man sich regelmäßig zu gemeinsamen Unternehmungen trifft. Oder auch ausreichend Sport, Maßnahmen zur Stärkung des Selbstbewusstseins und die Fähigkeit, auf Schwierigkeiten im Alltag angemessen zu reagieren. Wenn einem Probleme über den Kopf wachsen, sollte man sich um Hilfe und Unterstützung bemühen. Dies gilt insbesondere für Betroffene, die durch psychische Störungen in der Bewältigung des Alltags beeinträchtigt sind. Diese benötigen professionelle Hilfe. Gerade der pathologische Computer-Gebrauch wird oft von psychischen Erkrankungen begleitet. Dazu zählen etwa Depressionen, soziale Angststörungen, ADHS oder Essstörungen. Menschen, die ihren Computer sehr intensiv nutzen, sollten auf Warnsignale achten. Dazu zählen zum Beispiel zunehmende Schwierigkeiten, den Umfang des eigenen Computergebrauchs zu kontrollieren oder die beginnende Vernachlässigung anderer Aktivitäten und Sozialkontakte zugunsten des eventuell ansteigenden Computergebrauchs.

GesünderNet: Im Internet findet man unter anderem Seiten, auf denen man testen kann, ob man computersüchtig ist (z.B. http://www.internet-abc.de/kinder/computersucht.php). Halten Sie solche Fragen für eine sinnvolle Maßnahme?

Dr. Tim Aalderink: Solche Tests ersetzen natürlich nicht eine differenzierte Problemanalyse und Diagnostik durch einen Fachmann. Allerdings können sie Computernutzer für die Thematik sensibilisieren und Betroffene zum Nachdenken anregen. Zumeist finden sich auf den betreffenden Internetseiten dann auch recht vernünftige Tipps zum Umgang mit dem Computer und Hinweise auf Anlaufstellen für Betroffene.

GesünderNet: Wie kann ich überhaupt erkennen, dass ich computersüchtig bin?

Dr. Tim Aalderink: Hauptmerkmal ist die ausufernde Computer-Nutzung, die immer mehr Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht. Dabei ist es egal, ob der Betroffene stundenlang chattet, spielt oder surft. Alles was früher wichtig war, tritt hinter die ausufernde Beschäftigung mit dem Computer zurück. Im Krankheitsverlauf reduzieren Betroffene ihre familiären und sonstigen sozialen Kontakte, zum Teil bis zur vollständigen sozialen Isolation. Das macht sich im Alltag bemerkbar. So nehmen die Dauer-User zum Beispiel deutlich zu oder ab oder sie verlieren ihren Arbeitsplatz. Parallel dazu erweckt die reale Welt zunehmend belastende Gefühle wie Einsamkeit, Angst, Depressivität oder dem Gefühl, Ansprüchen nicht gerecht werden zu können.

GesünderNet: Wo kann man Hilfe bekommen?

Dr. Tim Aalderink: Eine erste Anlaufstelle sind in der Regel der Hausarzt, ein Psychiater oder Beratungsstellen. Bei schwer Betroffenen kann der Arzt eine Einweisung in ein Fachkrankenhaus ausstellen. Dort wird in einem ambulanten Vorgespräch die Problemlage differenziert erhoben und entschieden, ob eine stationäre Behandlung notwendig ist.

 

Unser Experte: Dr. Tim Aalderink, Leitender Psychologe der Schön Klinik, Bad Bramstedt

dr aalderink

Psychologischer Psychotherapeut, Verhaltenstherapeut, Supervisor, DBT-Therapeut

Fachgebiete: Persönlichkeitsstörungen, soziale Angststörungen, aggressives Verhalten, pathologischer Computer-Gebrauch