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Wie krank ist Deutschland?

Beinahe täglich erfährt man in Zeitungen und Fernsehsendungen Neues über steigende Gesundheitskosten, Krankenstände und die Probleme im physischen und psychischen Bereich, die den Durchschnittsdeutschen „krank machen“. Grund genug, sich einmal die Frage zu stellen: Wie krank ist Deutschland eigentlich?

Um diese Frage auch nur ansatzweise beantworten zu können, ist es wichtig, den Begriff „krank“ vorher zu definieren. Allerdings ist dieses Unterfangen etwas komplizierter, als es sich anhört. Denn „Krankheit“ ist ein ebenso dehnbarer Begriff wie „Gesundheit“. Logischerweise versuchte man sich zunächst an eine Definition des letzteren Begriffs. „Krankheit“ würde sich dann aus dem Umkehrschluss ergeben.

Der Versuch einer Definition

Schon zahlreiche Philosophen, Psychologen und Literaten haben sich mit dem Versuch auseinandergesetzt, Gesundheit zu definieren. Friedrich Nietzsche schrieb beispielsweise: „Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.“ Doch auch von offizieller Stelle wurden Versuche einer Definition unternommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte 1946: Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.

Diese Definition wird mittlerweile von vielen Wissenschaftlern als zu alt und zu einseitig (Menschen mit Behinderungen können zum Beispiel nach der WHO eigentlich nicht gesund sein) abgelehnt. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln hat sich an keine endgültige Definition von „Gesundheit“ oder „Krankheit“ gewagt, aber dafür das Thema in zwei Leitfäden diskutiert. „Krankheit“ könnte „im engeren medizinischen Sinn als Behandlungs- und/oder Pflegebedürftigkeit“ verstanden werden. Eine mögliche Definition von „Gesundheit“ wäre zum Beispiel eine „gelungene Bewältigung innerer (körperlicher und geistiger) und äußerer (privater, sozialer, ökonomischer) Anforderungen.

„Ein gesunder Mensch ist auch nur ein Mensch, der nicht gründlich genug untersucht wurde.“ (Verfasser unbekannt)

Das eigene Verständnis vom „Kranksein“ wird natürlich auch durch die eigene Prägung beeinflusst:

Patient 1:        Ich bin krank, ich bin erkältet.

Patient 2:        Ich bin nicht krank, ich habe nur einen Schnupfen.

Beide Patienten sagen aus ihrer Sicht die Wahrheit. Wenn aber Patient 2 in Folge seines eigenen Verständnisses nicht zum Arzt geht, werden Statistiken nur ein verzerrtes Bild der Realität widerspiegeln können. Und sind wir nicht eigentlich alle irgendwie irgendwo krank und ignorieren es nur, etwa weil unsere Krankheit einfach noch nicht diagnostiziert worden ist?

Doch auch auf die auf die Gefahr hin, dass Statistiken aufgrund der schweren Überprüfbarkeit von Krankheitszahlen die Dunkelziffer nicht berücksichtigen, kann man anhand von Statistiken eine ganze Menge über den Gesundheitszustand der Deutschen sagen. Das Bundesgesundheitsministerium veröffentlicht jedes Jahr Daten des Gesundheitswesens, und auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bietet einiges an Informationen.

Und wie krank ist Deutschland nun?

Die Gesetzlichen Krankenkassen ermitteln jedes Jahr den Durchschnitt ihrer kranken Pflichtmitglieder. Für 2010 steht die Quote bei 3,69 Prozent. Das klingt erst einmal überschaubar, bedeutet aber im Endeffekt Wertverluste in der Wirtschaft von fast 80 Milliarden Euro. Ältere Arbeitnehmer sind seltener, aber dafür im Durchschnitt länger krank als ihre jüngeren Kollegen. „Ich glaube, dass die Stressresistenz bei den Jüngeren geringer ist. Der Arbeitnehmer kann über seine Arbeitszeit sehr frei entscheiden. Diese Freiheit bedeutet aber auch, sich selbst Grenzen zu setzen. Das will gelernt sein und führt oft zur Überlastung. Früher hat man einen Job gewählt, es gab feste Arbeitszeiten mit klarer Trennung zwischen beruflichem und Privatleben. Das gibt es in dieser Form immer weniger“, meint der Mediziner Jochen Haack im Gespräch mit heute.de.

Seit 2007 steigt die Durchschnittsquote der kranken Versicherten wieder an. Damals war mit 3,22 Prozent ein historischer Tiefstwert erreicht worden. Insgesamt stehen wir aber im Vergleich zu früher ganz gut da. 1995 waren im Durchschnitt noch fünf Prozent aller Beschäftigten krank.

Ist Deutschland also gesünder als früher?

So einfach ist das nicht gesagt. Bei einer Befragung der AOK gaben 2006 zwei von drei Personen an, auch „richtig krank“ zu Arbeit zu gehen, sogar gegen ärztliche Empfehlungen. 93 Prozent arbeiten auch dann, wenn es ihnen „nicht so gut geht“ und nur jeder Fünfte nutzt seinen Urlaub, um sich auszukurieren. Kopfschmerzen oder eine leichte Erkältung halten nur 23 Prozent von der Arbeit ab.

Als Grund gibt fast die Hälfte der Befragten die hohe Arbeitsbelastung an, jeder Dritte hat außerdem Angst um die eigene Arbeitsstelle.

Verraten die Krankenhausaufenthalte mehr?

Laut Statistiken sind Herzinsuffizienzen der häufigste Behandlungsgrund für stationäre Behandlungen bei Frauen. Danach folgen Brustkrebs, Gallensteine und Bluthochdruck. Diese vier Symptome sind für über 600.000 stationäre Aufenthalte im Jahr verantwortlich. Bei den Männern belegt der Alkohol den traurigen Spitzenplatz mit fast 250.000 Fällen. Dahinter folgen Herzinsuffizienzen, Angina Pectoris (Herzschmerzen bis hin zum Infarkt) und Leistenbrüche, insgesamt über 630.000 jährliche Fälle.

Krebs ist als eine für beide Geschlechter gleichermaßen gefährliche Erkrankung. Von 854.544 Verstorbenen im Jahr 2009 ist mit 438.000 über die Hälfte zuvor an Krebs erkrankt. Zum Vergleich: An äußeren Ursachen wie Unfällen oder Stürzen starben im gleichen Zeitraum 31.832 Menschen.

Moderne Krankheiten sorgen für mehr Ausschläge in der Statistik

Stärker in den Fokus der Öffentlichkeit sind in den letzten Jahren psychische Störungen wie Depressionen oder Burn-Out gerückt. In den Arztpraxen ist die „Volkskrankheit Depression“ mittlerweile allgegenwärtig: Ein an Depressionen erkrankter Patient wird durchschnittlich mehrere Wochen krankgeschrieben, und die Zahlen steigen. Das Bundesgesundheitsministerium geht von insgesamt vier Millionen Betroffenen in Deutschland aus. Auch bei Kindern und Jugendlichen sind psychische Probleme auf dem Vormarsch.

Dies spiegelt sich natürlich in unserer heutigen Statistik eklatant wieder. Die neu als Krankheit klassifizierten Gebrechen sorgen für neue Ausschläge und höhere Zahlen. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass unsere Gesellschaft in Zukunft immer wieder neue „Zivilisationskrankheiten“ hervorbringen wird.

Sucht und Abhängigkeiten in der Statistik

Je nach eigener Erfahrung und Vorliebe sind wir geneigt, bei den einzelnen Süchten zwischen „schlechten Angewohnheiten“, „Lastern“ und „krankmachenden Süchten“ zu unterscheiden. (Expertenstimme)

5 Prozent der Bevölkerung haben in den letzten 12 Monaten illegale Drogen zu sich genommen, unter den Tisch fallen dürfen dabei nicht die zusätzlich schätzungsweise 1,4 Millionen Medikamentenabhängigen in Deutschland. Die „Genussmittel“ Alkohol und Tabak fordern zusammen 180.000 Todesopfer im Jahr. „Unsere größte Sorge ist nach wie vor der Alkoholkonsum“, sagte die Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans dem Jugendmagazin duhastdiemacht.de. Über neun Millionen Deutsche konsumieren ein gesundheitlich bedenkliches Maß an Alkohol.

Mehr und mehr wird uns in Zukunft auch die „Fettsucht“ (Adipositas), also ein „krankhaftes“ Übergewicht, beschäftigen müssen. Knapp 15 Prozent aller Deutschen fallen in diese Kategorie und sind damit gefährdet, an Diabetes oder Bluthochdruck zu erkranken.

Fazit: Wir werden öfter gesund als früher…

Schon in der Bibel heißt es, dass nicht die Gesunden den Arzt brauchen, sondern die Kranken. Bei fast 400.000 Ärzten und 4,7 Millionen Beschäftigten insgesamt im Gesundheitssektor sind diese Kranken in Deutschland in aller Regel gut versorgt. Und in der Tat steigt die Lebenserwartung der Deutschen unaufhörlich. Dank der modernen Medizin liegt sie heute durchschnittlich bei fast 80 Jahren, für das Jahr 2035 sagt man noch zwei bis drei Jahre mehr voraus. Krankheiten, die vor wenigen Jahrzehnten noch den sicheren Tod bedeutet haben, sind heute oftmals heilbar – und dieser Trend wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen. In dieser Hinsicht ist Deutschland tatsächlich nicht mehr so krank wie früher.

…aber deswegen auch öfter krank.

Aber „älter“ bedeutet eben nicht automatisch „gesünder“. Alte Krankheiten verschwinden aus den Statistiken, aber neue kommen nach und nach hinzu. Mit fortschreitendem Alter steigen außerdem die Krankheitstage und Pro-Kopf-Krankheitskosten durch teure Behandlungsmethoden stark an: 70-jährige sind doppelt so oft krank wie 20-jährige. Schätzungen gehen davon aus, dass 2050 ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein wird - man kann sich vorstellen, dass sich dies auf die Statistiken auswirken wird.

Am Ende bleibt also ein Paradoxon: Die Deutschen werden älter, weil sie länger gesund sind, bzw. öfter gesund werden. Aber genau aus diesem Grund werden sie eben auch öfter und länger krank.

 

Quellen:

http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Ministerium/Broschueren/Broschuere_Daten_Gesundheit_2011_Internet_110818.pdf

http://www.bpb.de/wissen/PO4NFI,0,0,Gesundheit.html

http://drogenbeauftragte.de/drogen-und-sucht.html

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